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Ich fürchte mic

Als Kind mochte ich Märchen nicht, ich mochte keine Wölfe die eine Oma fressen, oder arme Zicklein. Ich mochte keine Hexen, die zwei ausgesetzte Kinder braten wollte. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass früher den Kindern diese Geschichten erzählt worden sind um Kindern das fürchten zu lernen.

Ich erzählte meinen Kindern diese Geschichten nie, sie hörten sie irgendwann in der Kita und Schule, dann bin ich darauf eingegangen, aber vorher nicht. Am Ende aber haben nahezu alle Märchen ein „Happy End“, meist auch irgendwie gruselig, wenn ich da an den Wolf denke dessen Bauch aufgeschlitzt wird m in mit Steinen zu befüllen, aber es geht für die „Netten“ zu meist gut aus.

Bei uns zeichnet sich hingegen immer mehr ab, dass wir kein Märchenende erwarten dürfen. Wir leben auch in einer Art Geschichte, wir fürchten uns nicht vor einem Wolf, sondern vor einer Krabbe; Kunibert.

Es zeigt sich nun immer mehr, dass kein Prinz auf einem edlen Ross vorbeigeritten kommt um uns zu retten, um den Helden zu retten. Allerdings ist der Weg, die Länge und die Frage wieviele Steine auf dem weg liegen noch ungewiss.

Wir haben eine Bucket List, unsere Situation hat sich nunmehr aber so verändert dass ich sie einkürzen werde, zumindest auf die Dinge, die unbedingt noch sein müssen. Eine Kieztour in Hamburg, mit Olivia Jones, nur der Held und ich zum Beispiel… Aber dazu morgen mehr.

In den letzten Tagen werde ich von Gefühlen überschwemmt, die ich gar nicht beschreiben kann. Und manchmal wirkt es fast ein wenig so, als hätte ich eine gespaltene Persönlichkeit, bzw.3 Persönlichkeiten. Auf der einen Seite bin ich Angehörtige, eines schwer kranken Mannes. Ich bin die, die mit den Ärzten verhandelt und auf Dinge besteht. Ich bin die, die versucht unseren Helden Mut zuzusprechen, die die ihm verspricht an seiner Seite zu bleiben, die die Nachts mit ihm telefoniert weil er desorientiert ist. Dann bin ich Mama, die die versucht Brot zu backen, die Frühstücksbüchsen so zu füllen, dass sie auch gegessen werden. Die, die manchmal total „peinlich“ oder „uncool“ ist. Ich bin die, die KLamotten wäscht und morgens früher losgeht, damit der kleine Batman noch genügend Zeit hat Schnecken zu sammeln. Ich bin die, die Schatztruhen versteckt, damit den Heldenkindern nicht zu langweilig wird. Und manchmal wundere ich mich, wie ich es mit meinem doch sehr chaotischen Charakter schaffe, logistisch alles unterzubringen. Das sind die zwei Menschen, die ihr seht.

Und dann gibt es noch die Angehörige. Die, die Morgens funktioniert und Abends in ein Loch einbricht. Ich fürchte mich. Ich fürchte mich, wenn ich in den Garten sehe und die Schaukelstühle sehe. ich fürchte mich davor, dass der Platz neben mir frei bleien wird.  Nachts schlafe ich mit dem Schal von unserem Helden, weil er noch nach ihm riecht. Ich liege auf dem Sofa, mit dem Fernseher der an ist, weil ich die Stille und Leere im Schlafzimmer nicht ertrage. Abends, wenn die Kinder im Bett sind ist es am schlimmsten. Ich fühle mich einsam, funktioniere nicht mehr und heule. Ich trage Klamotten, von denen ich weiß dass er sie mag, obwohl es Tage gibt an denen wir uns nicht sehen. Ich Koche manchmal Dinge, die unser Held gerne isst, obwohl er nicht hier ist. Aber dann riecht es hier so vertraut.

Die Kinder tragen Klamotten, die wir zusammen ausgesucht haben, weil ich hoffe, dass es Glück bringt. Abends Küsse ich sein Foto. Manchmal sitze ich einfach nur da, starre in den Himmel und sag ihm, dass er Simon noch nicht reinlassen soll.

Am nächsten Morgen legt sich ein Schalter um, ich lache und mache Witze. Auf dem weg zur Klinik geht es auch, Bei Simon auch. Auf dem weg zurück zur Kita um den Heldensohn wieder abzuholen muss ich mich oft sammeln, aber dann geht’s wieder.

Manchmal erschrecke ich mich vor mir selbst und frage mich warum ich mich tagsüber relativ gut im Griff habe und fast abgeklärt wirke. Aber abends, wenn alles leise ist, dann bricht es förmlich aus mir heraus.

Ich vermisse meinen Mann; meinen Helden. Es ist unfassbar dass er diese Lungeninfektion fast besiegen konnte. Die werte werden immer besser, morgen kann vielleicht die Drainage gezogen werden, die Aufgrund des Pneumothorax gelegt werden musste. Kunibert aber lässt sich nur wenig beindrucken, wird nicht kleiner. Unser Held aber versucht seit Freitag aber, zusammen mit einem Physiotherapeuten wieder auf die Beine zu kommen. Er kämpft wie noch nie zu vor und ich bin nicht in der Lage ihm zu helfen. Als er so verwirrt gewesen ist, stand ich machtlos daneben, bzw. war nachts machtlos am Telefon wenn er mich angerufen hat. Ich bin dankbar, dass er zu dieser Zeit zumindest mit mir kooperiert hat und sich beruhigen konnte.

Der Heldenkopf ist wieder klar, unser Held sammelt sich und versucht alles was möglich ist, um wieder nach Hause kommen zu können. Ich fürchte mich, dass er dies nur uns zur Liebe macht und eigentlich gar keine Kraft mehr hat. Ich fürchte mich davor, mich auf ein Leben ohne ihn einlassen zu müssen, denn es wird kommen. Ich hoffe, dass es möglich sein wird, dass sich unser Held etwas erholen kann, so dass wir noch ein wenig Familienzeit geschenkt bekommen. Ein Sommer im Garten, in den Schaukelstühlen…vielleicht organisiere ich noch einen Strandkorb. Das wäre toll.

Aber am meisten fürchte ich mich vor der Furcht an sich. Ich habe Angst vor den Abenden, weil ich dann nicht mehr funktioniere und mit mir und dieser verdammten Furcht alleine bin. Manchmal kann ich sie bezwingen, oft aber nicht.

Und trotzdem genieße ich jede Minute in diesem Krankenhaus. Weil er da ist, der Mann den ich unbedingt heiraten wollte.  Meine Hoffnung liegt im Moment darin, dass Kunibert zumindest stagniert, also die Füße still hält und zumindest kurz nicht weiterwächst. ich hoffe, ich bete jeden Tag. Vielleicht überrascht uns unser Held auch, so wie er auch die Lungeninfektion besser „weggesteckt“ hat als gedacht.

Vielleicht hätte ich als Kind öfter Märchen lesen sollen, vielleicht hätte ich dann gelernt mit der Furcht umzugehen.

 

 

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