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Die Zeit, die angeblich alles heilen soll

Knapp 2 Wochen ist die Beisetzung jetzt her. Seit diesem Tag ticken die Uhren nochmal anderes. Seit diesem Tag ist etwas anders. Ich hinterfrage mich ständig, was ich hätte vorher anders machen können. Ob es der richtige Weg gewesen war? Ich vermisse mehr, viel mehr und eindringlicher. Simon ist nicht mehr da, er wird es nie wieder sein.38907144_1757781700957226_5238030324792819712_n

Jetzt ist es angekommen. Und ich will dass das Gefühl wieder weggeht. Ich lasse Kaum Jemanden an mich ran. Zum Teil fühle ich mich als würde ich unseren Helden verraten. Es sind Menschen, die etwas wollen, die sich doch zuvor auch kaum gemeldet hatten.

Ich vermisse Simon. Jeden Tag werde ich daran erinnert, dass er nun unser Wolkenheld sein wird. Die Sterbeurkunde ist gekommen, Rechnungen von Sanitätshäusern kommen auch immer noch. Ich melde Versicherungen um. Dann kommen Anrufe seiner Krankenkasse, Rechnungen aus der Klinik. Das ist doch ätzend.

Tagsüber geht es irgendwie. Bis auf dem Weg zurück nach Hause wenn ich den kleinen Batman in die Kita gebracht habe. Dann höre ich Musik beim Gehen, schrecklich laute Musik. Die soll mich davon ablenken, dass ich auf diesem Weg an der Schule vorbeikomme, in der wir letztes Jahr im April die große DKMS Aktion veranstalteten . Vor mir sehe ich noch immer die ganzen motivierten Leute, die uns helfen wollten Simons genetischen Zwilling zu finden.

Seit diesem Jahr April zeichnete sich mehr als deutlich ab, dass dieser Gedanke hinfällig gewesen war. Wir wussten seit 6 Jahren, dass Simon irgendwann sterben wird. Wir ahnten auch dass es bis zur Einschulung vom Heldensohn nicht reichen wird. Und trotzdem, so doof es sich auch anhört, so richtig daran geglaubt dass Simon tatsächlich, ganz in echt, zu 100% sterben konnte, haben wir nicht. Wir verdrängten Jahrelang und eigentlich taten wir es bis zum 6.7.2018 um 0.02 Uhr. 

Nun gibt es nichts zu verdrängen mehr, es ist bitterliche Realität geworden. und ich vermisse so sehr, dass es mich im Moment fast aufzufressen droht. Ich habe Kopfschmerzen und einen so dicken Klos im Hals, dass ich immer noch das Gefühl habe dass dort alles stecken bleibt. Manchmal wird meine Brust eng und die Luft knapp.

Gestern meinte Jemand, dass ich nicht alles was war mit Simon verbinden sollte. Zum Beispiel wenn ich beim Frühstückdosen vorbereiten an ihn denken muss, weil wir es sonst immer zu zweit gemacht hatten. Kann ich aber nicht, das geht nicht. Vielleicht werde ich gerade irre, aber ich kann das nicht. Simon ist allgegenwärtig, jede Schraube die er in die Wand gebohrt hat, überall sehe ich ihn und muss daran denken, wie er es gemacht hatte.

Ich vermisse und glaube dass die sagenbeworbene Zeit, die alle Wunden heilen kann, einen scheißdreck macht.

Zuhause plane ich mit unseren Kindern den Kellerumbau, eine Spieleparadies zum klettern und hüpfen. Ich baue Wände und mache Termine mit seiner Bank aus. Ich versuche für mich, für unsere Kinder komplett bei Null zu starten, den Resetknopf zu drücken um ganz von vorn anfangen zu können. Das Leben ist ein anderes geworden und ich kann mir nicht vorstellen in das alte zurückzukehren. Vieles soll sich ändern und wenn ich dafür noch 20 weitere Wände ziehen muss, jetzt weiß ich ja wie das geht. Ich habe gestern mit meiner Mutter über unsere Zukunftsvisionen gesprochen, ich finde sie größenwahnsinnig, sie mutig. Naja mal sehen. Aber das alte Leben ist nicht mehr da, s ist mit Kunibert verbrannt. Nun müssen wir uns auf ein neues einlassen.

Heute war ich mit unseren Kindern und „Dickbär“ das erste Mal zusammen in dieser Trauerstelle für Kinder. Beide waren sehr aufgedreht, aber offen für so manches Gespräch. Die Einhornbändigerin machte eine traumreise zu einem sicheren Ort an dem Papa nun ist. Der kleine Batman boxte in den Sandsack. Beide malten ein Bild, wie sie es sich im Himmel vorstellen. Auf beiden Bildern hatte unser Held Flügel, riesengroße. Unsere Heldentochter erzählte ihrem Bruder, dass Simon bestimmt auch oft bei uns auf der Erde sein würde, nur könnten wir ihn nicht sehen. „Er passt immer noch auf uns auf, weißt Du. Er sieht uns, wir ihn aber nicht“. Der kleine Batman sah seine Schwester an und meinte, dass das traurig wäre, aber dort oben hätte Papa bestimmt auch ganz viele Freunde gefunden.

Ich gehe nach wie vor zu der Therapeutin. Dort darf die Welt mit mir stehen bleiben, ich muss der sich drehenden Kugel nicht folgen. Früher hatte ich immer wieder Gedanken, dass ich am liebsten wegrennen würde. Heute habe ich das Gefühl, dass die Welt vor mir davon läuft. Simons Sieg über Kunibert, sein Tod ist bei mir angekommen. In stillen und ruhigen Momenten kann ich es kaum aushalten. Ich dreh noch durch. Dann schreibe ich, weil es mein Weg ist mit unserer Situation umzugehen. Ich hätte nicht gedacht, dass Schreiben für mich zu einem Instrument werden kann, welches ich mir zu nutzen mache. Ich verarbeite in dem ich das tue, was ich gerade am liebsten mache.

Ich habe realisiert und versuche nun in unserem neuen Leben anzukommen. Ein Leben ohne Held an der Hand. Ich weiß nicht welcher weg für uns der richtige sein wird. Ich weiß dass ich viel jammer,wen es stört, der liest bitte woanders. Es gibt ne Menge Blogs, die lustiger als unsere sind.

Die Kinder und ich konzentrieren uns aufs Jetzt. Wir planen den Keller und dessen bunte Wände. wir machten eine Liste mit Orten, wo die zwei Heldenkinder unbedingt einmal hinwollen. Die hängen wir ins Wohnzimmer, damit es nicht nur Vorstellungen bleiben. Irgendwann wird’s gehen. Der kleine Batman freut sich auf seine Einschulung nächstes Jahr und noch viel mehr auf seinen Geburtstag am 12. September. Falls ihr also noch ein paar Geburtstagskarten über habt… Gleichzeitig wird unserem Sohn bewusst, dass er seinen 6. Geburtstag ohne unseren Helden feiern wird. Den 7. auch, alles andere danach sowieso. 

Morgen ist unser 14. kleiner Hochzeitstag, wir sind 14 Monate verheiratet. Bis zur Monatlichen Silberhochzeit wollten wir es schaffen. Geworden sind es immerhin 12 Monate und 2 Wochen. Ich feiere diesen Tag. Monat für Monat, weil es auf unserer Bucket List steht. Wir wollten die 25, wir bekommen die 25. Das ist der zweite Hochzeitstag ohne Simon. Unseren ersten großen, der erste Richtige…den hatten wir auch. Allerdings wusste mein Held nichts davon, weil Kunibert sein Hirn bereits vereinnahmt hatte. Einige Tage vor Simons Sieg, hatte Kunibert auch dafür gesorgt dass unser Held nicht mehr wusste wer der kleine Batman und die Einhornbändigerin sind, Seit April gab es immer mal wieder Momente, an denen er das vergessen hatte, allerdings war es immer möglich ihn daran zu erinnern, dass er zwei Kinder hat. die letzte Woche funktionierte das nicht mehr.

Simon konnte nicht allein aufs Klo gehen, er konnte nicht essen, nicht laufen,nicht schlucken und kaum reden. Beim umlagern im Bett brauchte er Hilfe, er bekam kaum Luft und sein Hirn führte ein Eigenleben mit sehr, sehr seltsamen Geschichten. Es war ein Leben vor dem Simon immer Angst hatte, es war nicht lebenswert. Außer die Pflege zu Hause und zum Teil auch in der Klinik zu übernehmen tat ich…Nichts, rein gar nichts. Ich sah zu. Kaum Jemand in unserem Umfeld wusste was in den Wochen und Monaten vor Simons Sieg, vor der Klinik in unseren vier Wänden vor sich ging. Und trotzdem hatten alle Angst, wussten nicht wie sie sich uns gegenüber verhalten sollen. Simon meinte mal, dass er sich wie in einer sozialen Isolation fühlte.

Jetzt ist er nicht mehr da, ich muss nicht alle 30 Minuten in der Nacht aufstehen um ins Schlafzimmer zu gehen, weil er meine Hilfe braucht. Und ich wache trotzdem ständig auf, weil ich das Gefühl habe, er hätte gerufen. Hat er natürlich nicht, ich träume nur doof. Gestern Abend stand ich solange unter der Dusche bis das Wasser kalt geworden war, ich stand da, hatte seine Duschgelflasche in der Hand und roch daran. Ich bin spooky, jetzt bin ich die Freakshow. Jetzt bin ich die, die sich isoliert. Unsere Kinder versuche ich ermutigen es nicht zu tun. Für gewöhnlich klappt das auch ganz gut. Für mich selbst bekomme ich das nicht hin. Ich fühle mich einsam und trotzdem gibt es nur wenige Menschen, deren Gegenwart ich gerade ertrage. Manchmal wünsche ich mir Hilfe, kann sie aber nicht annehmen. Und eigentlich weiß ich auch, dass es immer noch vielen schwer fällt mir gegenüber zu treten, ich bin die „arme Witwe“, die unterschrieben hat, dass ihr Mann sterben darf. Was redet man schon mit so einer Person. ich wüsste es auch nicht.

Ich habe zwei große Aufgaben für mich; das Haus halten und vor allem aber die Kinder tragen. Auch dann, wenn sich meine Arme labberig anfühlen. Bis jetzt klappt es gut, unsere Minihelden meistern das alles ganz großartig. Wir reden oft, schreiben Erinnerungsbücher und malen Bilder für Simon. wir schicken Luftballons in den Himmel und sagen ihm jeden Abend gute Nacht.

Heute bade ich in Selbstmitleid und gleichzeitig plane ich unsere Zukunft. Solange es beides gibt, wird es wohl in Ordnung sein.

Rock den Himmel mein Held

#luftballonsfürsimon

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