Website-Icon Weg ins Leben 2.0

Wie ist das eigentlich, das Leben danach

fbtmdn

Inzwischen sind es 3,5 Monate ohne Simon.. 3,5 Monate, in denen wir Zeit hatten, uns an das neue Leben, an eine unbekannte Zeit zu gewöhnen. Ich glaube so richtig daran gewöhnen können wir uns nicht, damit arrangieren trifft es eher.

Es sind noch lange nicht alle Behördengänge abgeschlossen. Der Erbschein ist noch nicht lange hier, die Wege, die gegangen werden wollen, werden erstmal nicht weniger.

Jeden Morgen wenn wir aufstehen, denke ich an unseren Helden. Den Kindern geht es ebenso, der kleine  Batman sucht weiterhin jeden Morgen die Wolkenlücken, um Simon „Gute Morgen“ zu sagen. Die Einhornbändigerin schreibt Briefe und malt Bilder. Dazu kommen kleinere Schwierigkeiten mit den Sanitätshäusern und der Krankenkasse. Ein Traum. Wirklich.

Ich dachte früher immer, dass der Satz „Meine ersten Gedanken am Morgen sind an Dich und meine letzten am Abend auch“ nur eine Zeile in schlechten Liebesfilmen ist. Nun muss ich aber lernen, dass es tatsächlich Realität sein kann. Mein erster Gedanke am Morgen, sobald der Wecker klingelt, gilt Simon. Der letzte am Abend auch.

Es ist nicht so, dass wir ununterbrochen traurig in einer Ecke sitzen, uns bemitleiden und an unseren Helden denken. Es gibt Stunden und viele Momente, da ist dem nämlich gar nicht so. Es gibt Momente da lachen wir viel und freuen uns über Dinge, die wir zusammen geschaffen haben.

Die Abende sind schlimm, jeden Tag aufs Neue. Wenn wir unsere Gute-Nacht-Geschichte lesen und es kommt ein Papa darin vor oder etwas das Simon gern getan hat, werden die Heldenkinder etwas traurig. „Wir haben keinen Papa mehr“ oder „Das hätte Papa auch toll gefunden“…

Eine Zeit lang überlegte ich, diese Bücher aus dem Regal zu nehmen. Ich entschied mich dagegen, weil es doch in die falsche Richtung gegangen wäre. Woanders gibt es Papas, nicht überall, aber es gibt sie. Das ist auch gut so. Wir sollten uns nicht die Welt so verdrehen, dass sie besser zu uns passt, sondern uns den neuen Gegebenheiten anpassen und lernen, damit umzugehen.

Der kleine Batman geht sehr offen mit der Tatsache um, dass sein Papa nun im Himmel wohnt. Er erzählt es auch jedem und wenn es der Postbote ist, der an der Tür steht. Die Einhornbändigerin tut das nicht so ausdauernd. Sie redet auch darüber, oft zu Hause oder mit Freunden. Aber nicht mit jedem.

Wir räumen viel im Haus umher, um es uns schön zu machen. Wir benutzen Dinge, die wir haben, da sämtliche finanziell verfügbaren Mittel für den Kellerumbau oder die Hausmiete veranschlagt sind. Das klappt bisher ganz gut. Wir suchen und brauchen sichtbare Veränderung und wollen es trotzdem vertraut haben.

Was nach wie vor recht häufig vorkommt, sind wahrscheinlich gut gemeinte Fragen und Aussagen. Ein kleiner Auszug aus unserem Bullshitbingo:

„Wie, Du gehst immer noch nicht arbeiten?“ (Nein das tue ich nicht, zumindest nicht in meinem alten Job. Dass ich nicht arbeite, kann ich so nicht sagen)

„Es ist doch schon xy Monate her, es muss doch langsam besser werden. Blick nach vorn, auch die Trauer darf ein Ende haben“. (Ich blicke nach vorn, sonst könnte ich am Morgen nicht aufstehen. Ich trauere, das stimmt. Aber ich bin es, die Abends allein auf dem Sofa sitzt, nicht Du. )

„Der Verlust eines Menschen ist kein Grund so lange zu Hause zu sein“ (Mag sein, aber ich bin nicht krankgeschrieben, weil Simon verstorben ist, sondern aufgrund der Zeit zuvor UND dem Jetzt. Burn Out und so. Außerdem brauchen mich die Kinder, mein Hirn funktioniert nicht usw.)

„Du isst zu wenig“ (ich weiß)

„Du schläfst zu wenig“ (das weiß ich auch)

„Kopf hoch, Du bist noch jung. Irgendwann lernst Du einen neuen Mann kennen“ (Mag sein, mag nicht sein. Aber was soll mir dieser Gedanke gerade bringen?)

„Ich kenne das, mein Hund, Katze, Vogel oder Cousin dritten Grades ist auch gestorben“ ( Mein Beileid)

„Sei froh, dass Du Deine Kinder noch hast, die helfen Dir“ (Ich danke Gott für meine Kinder, jeden Tag. Allerdings sind sie nicht da, um mir zu helfen. Diese Verantwortung gebe ich nicht an sie ab. Es ist anders herum, ich helfe meinen Kindern. Die Verantwortung für mein Wohlbefinden obliegt nur mir)

„Lass Dir helfen“ (Mache ich)

„Die Zeit heilt alle Wunden“ (die Zeit kann mich mal)

„Du musst jetzt stark sein“ (ich muss gar nix)

„Du musst nur wollen, dass es besser wird“ (ähm, ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll)

„Simon hätte nicht gewollt, dass Du traurig bist“ (stimmt, hätte er nicht. Aber was soll ich machen?)

Gibt es Hinterbliebene unter Euch? Bitte sagt mir, dass nicht nur ich diese Sätze zu hören bekomme.

Mir geht es übrigens nicht schlecht, irgendwie scheinen das viele zu denken. Ich kann nicht genau sagen, wie es mir geht. Es ist die Käseglocke, die noch immer über mich gestülpt ist. Mir geht es weder schlecht noch gut, es ist etwas dazwischen. Ich erinnerte mich vor einigen Tagen an einen Satz, den einmal eine Zeitung über mich geschrieben hat. „Frau G. ist keine Frau, die schnell aufgibt, erst recht nicht, wenn es um ihren Mann geht“ So ist es bis heute. Ich gebe nicht auf; nicht mich, nicht meine Kinder und auch nicht unsere Pläne. Ich brauche nur etwas mehr Anlauf als früher, das ist alles.

Meine Therapeutin meint, dass ich traumatisiert bin. Nie hätte ich gedacht, dass mir Simons Sieg über Kunibert so sehr die Schuhe ausziehen wird. Ich dachte früher, dass ich das alles ohne Probleme bewältigen werde, schließlich wäre es besser für ihn. Ich erzählte Euch bereits, dass ich mich eine Zeit lang wie Hulk gefühlt habe und dachte, dass ich vorbereitet sei. Wir arbeiten auch daran, dass sich meine Gedanken noch immer jeden Tag um die Frage „Was wäre gewesen wenn“ kreisen. War es richtig, der Intubation zuzustimmen? War es richtig, Simon nicht zu sagen, was gleich geschehen wird und ihn in dem Glauben zu lassen, dass er nur etwas zu schlafen bekommt, damit morgen alles besser sein wird? War es richtig, einen Tag später die Behandlung einstellen zu lassen, um ihn gehen zu lassen? Meine Therapeutin sagt immer wieder etwas vom „größten Liebesbeweis“ und versucht mir bewusst zu machen, dass der Sterbeprozess bereits viel früher begonnen hat und nicht aufzuhalten gewesen wäre. Früher hat sie als Psychologin in der onkologischen Abteilung einer Klinik gearbeitet. Sie scheint zu wissen, was sie sagt.

Wir haben unser Abendritual etwas ausgeweitet. Zur Gute-Nacht-Geschichte gibt es jetzt auch eine „wir machen eine Runde Quatsch“ Phase und oft auch Gespräche über Simon. Diese Gespräche sind immer häufiger positiv besetzt, die Stimmung im Raum ist gelöst und die Kinder erinnern sich an schöne Momente.

Die mobile Version verlassen