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„Der Kult mit dem Tod“

So langsam beruhigt sich die Pressewelle wieder etwas. Einer der ersten Fragen in nahe zu jedem Interview war die nach unserem Befinden. „Wie geht es Ihnen? “ „Wie geht es den Kindern?“ Relativ häufig versuchte ich die Frage nach meinem Befinden zu umschiffen und nur auf unsere Kinder einzugehen. Und selbst diese Frage ist komplexer, als sie im ersten Moment zu sein scheint.

Bezogen auf unsere Kinder kann ich weder „gut“ noch „schlecht“ sagen. So einfach ist das leider nicht. Allerdings bemerke ich, dass unsere Minihelden so langsam wieder etwas erden. Nach wie vor ist Simon jeden Tag Thema in diesem Haus, allerdings ändert sich die Qualität dieser Gespräche. Vor einigen Monaten führte bereits das Wort „Papa“ zu Weinkrämpfen. Bilder von Simon wurden von den Kindern gemieden und andere Familien wurden beneidet, weil diese noch „komplett“ waren.

Da es für mich selbstverständlich gewesen war, dass unsere Kinder offensiv mit ihrer Trauer umgehen dürfen, ließ ich sämtliche Gefühlswellen der kleinen Superhelden zu und versuchte diese auszuhalten und aufzufangen. Ich lenkte ab, wenn ich dachte dass es der richtige Zeitpunkt wäre. Aber ich änderte das Thema nie. Wenn der kleine Batman weinend vor mir gesessen hatte, weil er es unfair fand dass seine Freunde noch einen Papa hatte und er nicht, redete ich mit ihm. Ich versuchte ihn daran zu erinnern welches Glück wir doch hatten, Simon als Papa zu haben. Wie toll er gewesen war, aber leider auch sehr krank. So krank, dass es nicht mehr möglich war dass die Ärzte ihm helfen konnten. So krank, dass es auch die stärksten Chemoritter nicht mehr geschafft hatten gegen Kunibert anzukommen. Dann redeten wir oft über Simon, Dinge, die wir unternommen hatten, über sein Lieblingseis und die Tatsache, dass der lose Hundehaare auf dem Fußboden nicht ausstehen konnte. Oft endeten diese Gespräche mit Lachen oder zumindest einem Lächeln. Weil die Zeit mit unserem Helden schön war. Nicht immer einfach. Aber schön und das wirklich jede einzelne Sekunde.

Die aktuellen Gespräche über unseren Helden sind weniger von Tränen bestimmt, sondern mit schönen Erinnerungen. „Guck mal da, auf dem Bild. Da hatte Papa noch Haare. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern“ „Ihhh Spinat, den mochte doch sonst nur Papa essen, wir aber nicht!“ „Können wir im Sommer wieder auf den Campingplatz fahren? Da wo wir mal mit Papa waren“ (ich hoffe dass wir diesen Plan umsetzen können)

Es gibt immer mal wieder Tage, an denen die Tränen zurückkommen, an denen geschrien wird und alles doof ist. Und dennoch glaube ich, dass unsere Kinder in die richtige Richtung gehen. Emmas Schulleistungen werden wieder besser. Und, was mir viel wichtiger ist, sie hat Anschluss in der Klasse gefunden, trifft sich wieder mit Freunden und verkriecht sich nicht mehr in ihrem Zimmer. Sie weiß wieder alles besser und die Diskussionsfreude ist zurück. Unsere Tochter ist zurück!

Der kleine Batman wird wieder frecher, widerspricht seiner Logopädin und fängt an für seine Rechte, Bedürfnisse und Wünsche einzustehen. Er spielt in der Kita mit anderen Kindern, er lacht wieder viel mehr und sagt immer seltener, dass er nun auf uns aufpassen müsste. Er hat einen wahnsinnigen Entwicklungssprung in der Sprache gemacht, er diskutiert ebenfalls wieder mehr und findet es inzwischen auch wieder „total unfair“, dass es nicht den ganzen Tag Mortadella und Schokolade zu essen gibt. Der kleine Batman ist zurück.

Beide Heldenkinder kämpfen. Und das jeden Tag. Aber sie geben nicht auf, sondern nehmen dass an, was ihnen gegeben wurde. Immer noch gibt es unser Zauberglas. Dort drin sammeln wir Dinge, die wir Simon mit in den Zauberwald bringen, wenn wir ihn besuchen.

Auch wenn ich dafür in den letzten zwei Wochen ordentlich einstecken musste, noch immer lassen wir nahezu jeden Freitag Luftballons mit Briefen oder Bildern in den Himmel steigen. (Luftballons sind in der Regel aus Naturlatex, Band aus Papier. Trotzdem nicht super ökologisch, ich weiß. Allerdings fasst sich bitte jeder zuerst an die eigene Nase, Duschgel, Einkaufverhalten, Lebensmittel…überall Plastik…ne?)

Unsere Kinder kommunizieren so mit ihrem Papa, weil sie ihm Dinge erzählen und so immer das Gefühl haben dass er bei Ihnen ist. Ich kann nicht sagen, wie oft wir dies noch tun werden. An Simons Geburtstag waren wir im Zauberwald. Eingepackt hatten wir Luftschlangen, eine Geburtstagskrone und seinen Lieblingskuchen. Ich denke, dass all diese Dinge unseren Kindern helfen. Ich hatte auch unter einem Post das Kommentar gelesen, dass wir aus Simons Tod eine Art „Kult“ machen und unsere Kinder durch viele Dinge, die wir machen ständig an unseren Helden erinnert werden. Das sei nicht gut und fördere eher die Tatsache, dass sie nie wieder fröhlich sein können.

Ich habe weder Psychologie studiert oder mir wahnsinnig viele Ratgeber zu diesem Thema durch gelesen. Ich entscheide intuitiv, weil ich mir einbilde dass ich unsere Kinder am besten kenne. Ich habe nicht das Gefühl, dass es sie nur traurig macht wenn wir Luftballons in den Himmel schicken. Sie wurden auch nicht depressiv beim Sarg anmalen oder wenn wir einmal im Monat Simon besuchen.

Im Gegenteil. Ich bemerke, dass es ihnen gut tut. Ihr solltet sie mal im Wald sehen oder wie sie den Luftballons hinterherlaufen und „Die sind für Dich Papa!“ rufen. Was wäre die Alternative?

Schweigen, so tun als hätte es unseren Helden nie gegeben? Oder „einfach weitermachen“ nur eben ohne Simon? Was sollte ich sonst tun? Ich glaube, dass das Nichts tun, viel tragischer wäre, als den Umgang den wir für uns gefunden haben. Es ist kein Kult. Und ehrlich gesagt finde ich jenes Wort in diesem Zusammenhang auch mehr als anmaßend.

Übrigens wird in Südamerikanischen Ländern der Tod ganz anders gehandhabt. Einmal im Jahr trifft sich die Familie am Grab, es wird laut, es wird bunt und jeder bringt eines der Lieblingsgerichte des Verstorbenen mit. Es wird getanzt, gesungen und gegessen. Auf dem Friedhof wohlgemerkt. Die Hinterbliebenen feiern das Leben, weil es nämlich schön ist. Nicht leicht. Nicht problemlos. Aber schön.

Jeder sollte das Recht haben, selbst darüber zu entscheiden welchen Weg der Verarbeitung er gehen mag, oder? In unserem Fall war es nicht nur Simons Sieg über Kunibert am 6.7.2018. Es waren auch die vielen Monate zu vor. Es waren Momente, in denen unser Held noch zu Hause war, aber nachts nicht allein aufs Klo konnte. Es waren Momente, in denen er im Beisein der Minihelden vergessen hatte, dass er überhaupt Kinder hat. Es waren Nächte, in denen Simon laut schrie und um sich schlug, weil er Wahnvorstelllungen hatte.

All diese Momente gilt es ebenfalls zu verarbeitenund manchmal sind diese Momente fast schwerer zu tragen und zu erklären als der Tod selbst.

Ich wünsche mir für unsere Kinder, dass sie nicht vergessen. Aber ich wünsche mir, dass sie es schaffen zu verarbeiten und zu verstehen, dass manche Handlungen von Simon nicht er selbst gewesen war, sondern dass da Kunibert vor ihnen stand. Ich wünsche mir, dass unsere Kinder ein zufriedenes Leben führen können und immer über unseren Helden reden können wenn sie das Bedürfnis danach haben. Es sind Kinder, sie reden, sie lachen, sie weinen. Unsere Rituale scheinen sie bei ihrem Abschied zu unterstützen. Es hilft ihnen in Kontakt zu bleiben. Sowohl mit Simon, als auch mit ihrer Umwelt.

Es hat nichts mit Kult zutun. Sie sind deswegen auch nicht trauriger. Es sind Rituale geworden, die ihnen helfen das Lachen nicht zu verlernen.

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