Website-Icon Weg ins Leben 2.0

Dinge, die Dir keiner sagt

Facebook hat mich heute an einen Tag vor 6 Jahren erinnert. Ich wurde an den 6.5.2012 erinnert. Wir erreichten die Halbzeit der Schwangerschaft. Es stand im Raum, dass der kleine Batman an Trisomie 21 leidet. Aber das zählte an diesem Tag nicht. Das Bild zeigt den Bauch vom Helden und meinen. Auf diesem Foto bin ich eindeutg in Führung gegangen.

Zum Zeitpunkt dieses Fotos war unsere Welt noch in Ordnung. Unser Held hatte zwar bereits starke Rückenschmerzen und war krankgeschrieben; Verdacht auf Bandscheibenvorfall. Am 17.6.2012 sollten wir es dann besser wissen.

Am 6.5.2012 aber wussten wir noch nicht, was da in naher Zukunft auf uns zukommen wird. Vermutlich schlummerte Kunibert bereits im Helden, als wir uns 2008 kennengelernt haben.

Auf diesem Foto freute ich mich, dass mein Bauch nun endlich größer ist, als der des Helden. Ich hatte keine Ahnung dass wir schon 6 Wochen später über die geplante Geburt via Kaiserschnitt reden werden, damit unser Held seinen Sohn vor der ersten Hochdosischemo noch sehen wird. Ich wusste noch nicht, dass ich bald Angst haben werde,  eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern zu sein. Ich hatte keine Ahnung dass unser Held zum Zeitpunkt der Geburt die gleiche Frisur wie der neugeborene Batman haben wird. Ich machte mir Gedanken ob das Stillen klappen wird, wie eifersüchtig die Heldentochter sein wird und wie ich den Kinderwagen immer wieder in den dritten stock der Altbauwohnung bekommen soll.

Ich dachte an Spucktücher für das Baby nicht für den Helden. Ich dachte über Windelmarken nach und nicht über Schmerzmittel, die dafür sorgten, dass unser Held eine Zeit lang nicht wusste wer ich bin.

Als die Diagnose kam wurde uns von Medikamenten erzählt, von neuen Therapieansätzen, von prognostischen, durchschnittlichen Überlebenswerten. Wir erfuhren dann wozu Knochenzement dient, was ein Bostenkorsett ist und dass ein ZVK so richtig ätzend ist. Wir wurden über die Dringlichkeit von einem Mundschutz aufgeklärt, von dem Sinn neuer Stammzellen. Infos zur Zytogenetik und vieler anderer Dinge, die wir erst gar nicht verstanden haben gab es oben drauf. Patientenverfügung, Schwerbehindertenausweis, Psychoonkolgen…alles Worte, die mit einem Mal da gewesen sind.

Niemand aber erzählte uns wie nun das Familienleben aussehen soll. Keiner erklärt Dir, wer nun alles regelt wenn der Held im Krankenhaus liegt und ich mit vorzeitigen Wehen das Sofa nicht verlassen sollte. Aber es wird Dir gezeigt, wie Du einen erwachsenen Mann drehen musst um ihn zu pflegen, ihm was zu essen zu geben. Nur der dicke Batmanbauch störte da etwas.

Niemand sagt Dir, dass diese Erkrankung, dieses Biest was nicht heilbar ist eine Belastungsprobe für die Beziehung ist. Es ist wie eine Naturgewalt, die seines Gleichen sucht. Von Außen denkt man bestimmt, „da rückt man einfach näher zusammen“. Ihr Lieben so einfach war/ist das leider nicht. Ich weiß gar nicht mehr wie oft der Held und ich schon unsere Koffer packen wollten. Nicht weil Kunibert im Haus ist. Sondern weil dieses Krabbentier wahnsinnig viel Frustration mit sich bringt. Frustration über Urlaube, die immer wieder abgesagt werden müssen, Frustration weil sich der Held „überflüssig“ vorkommt, Frustration weil wir den Kindern oft erklären müssen, dass gewisse Dinge nicht gehen, Frustration weil es zwischen den ganzen Chemos, Klinikaufenthalten, Bestrahlungen,Medikamenten und deren Nebenwirkungen teilweise kaum noch zu einem Familien- und Beziehungsleben kommt. Und wo lässt fast Jeder diese Frustration am ehesten? Richtig, bei dem Menschen, der einem am nächsten steht. Wir haben uns beide öfter Mal beim Anderen entladen. Ob das nun gut oder schlecht ist sei mal dahin gestellt.

Auch ein Psychoonkologe sagt Dir nicht, dass das passieren kann. Und wenn es passiert heißt es, „ihr müsst zusammenhalten“. Das tun wir, immer wieder. Aber es gibt oft Steine, die es beiseite zu räumen gilt.

Der Held und ich führten noch nie die „Bilderbuchbeziehung“, wir sind schon immer, auch vor Kunibert gerne aneinander geraten. Die von Euch, die uns auch im echten Leben kennen, wissen dass wir eine, nennen wir es Mal sehr lebendige Beziehung führen.

Wenn die Diagnose Krebs, nicht heilbar fällt sagt Dir auch Niemand wie schlecht Patienten und Familien schon bald finanziell gestellt sein werden. Mein 40 Stunden Job ist nun endgültig hinfällig, beim Helden sowieso. Es weist Dich Niemand auf mögliche Unterstützungsmöglichkeiten hin. Nix. Wir wuseln uns gerade alles zusammen. Es geht, irgendwie aber es geht.

Auch erklärt Dir kein Arzt dieser Welt wie Du die ganze, zum Teil recht grauenhafte Situation den Kindern erklären sollst, wenn Du doch selbst das alles nicht fassen kannst.

Niemand sagt Dir, dass Du Dich in Zeiten einer Remission (Krebs ist da, wächst aber vorübergehend nicht weiter, Symptomfrei) nicht in einer gefährlichen Sicherheit fangen sollst. Das war so ziemlich das gefährlichste, was wir in den knapp 6 Jahren mit Kunibert gemacht haben. Wir hatten Ruhe, fast vier Jahre. Wir wussten um Kunibert hatten aber die Hoffnung dass er noch ewig fern bleiben wird. Wir machten den großen Fehler nicht demütig sondern selbstverständlich mit dieser wundervollen Zeit umzugehen. Der Alltag war da, wir lebten irgendwann einfach weiter. Wir änderten nichts an unserer Weltanschauung und an unseren Prioritäten. Im Nach hinein könnte ich mich selbst dafür Ohrfeigen, so richtig doll. Wir werden nie wieder so eine lange Zeit in Remission haben. Im Moment hoffen wir, dass es überhaupt nochmal dazu kommt und wenn auch nur für ein paar Monate.

Unsere Prioritäten haben wir erst jetzt verschoben. Erst jetzt merken wir, welches Glück wir damals hatten. Nur dass wir es nicht geschätzt haben. Stattdessen sitzen wir nun hier, würden gern noch vermeintliche KLenigkeiten erleben und wissen gar nicht was überhaupt noch möglich ist.

Bei der Diagnosestellung sagt Dir auch Niemand, wie sich ein Abschied in Etappen anfühlt. Die Gewissheit, dass Kunibert gewinnen wird, dass die Einschulung vom kleinem Batman schon kippelt. Niemand kann Dir sagen, wie sehr es weh tun wird, dabei zuzusehen, wie das Gegenüber immer weiter abbaut und Du nichts anderes tun kannst als daneben zu sitzen und dabei zuzusehen.

Aber es sagt auch Niemand, zu welcher Stärke ein Mensch in der Lage ist. Ich bewundere unseren Held sehr dafür. Er steht jeden Tag auf, er baut langsam wieder auf und geht langsam aber sicher immer etwas weiter nach vorn. Kommt ein erneuter Schlag ins Gesicht, wirft ihn zu Boden, dann steht er wieder auf und geht weiter. Soweit ihn seine Füße tragen. Ich habe noch nie zuvor einen Menschen so leiden gesehen. Und ich habe erst recht nicht gesehen, dass dieser Mensch dann wieder aufsteht, sich schüttelt und wieder weitermacht. Ein wahrer Held!

Es sagt Dir auch Niemand, dass ein Leben trotz der Diagnose weitergehen kann. Dass es plötzlich wahnsinnig toll ist den streitenden Kindern zuzusehen, da besonders dieses Laute ganz viel Lebendigkeit mit sich trägt. Plötzlich ist der Wind im Gesicht, die Sonne auf den Armen und der Apfelbaum im Garten ein Geschenk.

An alle unter Euch, die mit einer chronischen, nicht heilbaren Erkrankung leben. Ihr seid der Wahnsinn! Jeder Tag ist eine Überraschung, da ihr nicht wissen könnt wie es Euch am nächsten Tag gehen wird. Ihr steht immer wieder auf. Ihr funktioniert nicht nur, ihr überlebt nicht nur; ihr lebt. Und das mit allen Sinnen. Jeder gesunde Mensch, so wie auch ich einer bin, sollte sich davon eine ganz, ganz dicke Scheibe abschneiden. Ihr macht die Welt zu einem besseren Ort, weil die meisten von Euch diese erst richtig zu schätzen wissen. Vielen lieben Dank dafür ihr Lieben!

 

Die mobile Version verlassen