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Liebe Angehörige…

heute schreibe ich Euch, besonders an die Jeneigen, deren Partner an einem Kunibert erkrankt ist. Zu allererst möchte ich Euch sagen, egal was ihr macht oder auch nicht macht… es ist falsch und es wird immer Jemanden geben, der Euch genau das sagen wird.

Wenn ihr Euch rührend und nahezu aufopfernd um Euern kranken Partner kümmert, immer da seid und kaum Zeit für Euch habt, ist es nicht richtig. Vermutlich hört ihr Stimmen von Außen, die Euch sagen „nimm Dir Zeit für Dich selbst“, „fahr doch mal übers Wochenende weg“. Ihr denkt zu wenig an Euch selbst und sollt Euch Unterstützung holen. Richtig spannend wird es dann, wenn ihr noch Kinder habt. Selbstverständlich ist es wahnsinnig einfach  die Betreuung Euers Partners für 24Stunden täglich zu organisieren, denn wie ihr wisst, Eure Freunde kommen selbstverständlich regelmäßig vorbei.

Nehmt ihr Euch eine Auszeit und wenn es nur ein wöchentliches Date mit guten Freunden ist oder tatsächlich sogar über Nacht. Es ist falsch und verwerflich, denn wie könnt ihr Freizeit haben wenn euer Partner derweil zu Hause sitzt und allein bleiben muss. Wer hilft der Person. Und was ist eigentlich mit den Kindern? Sind die etwa beim Babysitter?

Liebe Angehörige, zeigt immer Mitgefühl und unterdrückt eigene Bedürfnisse. Solltet ihr einmal frustriert sein, wollt am liebsten weit weglaufen und streitet womöglich noch. Das ist ganz falsch, denn eigene Bedürfnisse dürft ihr als Angehörige nicht haben. Ihr seid Krankenpfleger, Koch, Seelsorger, Kinderbetreuer, Putzperson und Haushaltshilfe. Solltet ihr das Gefühl haben, dass eure Beziehung drunter leidet; ihr irrt Euch.

Wenn ihr Angst habt, vor der Zukunft, vor dem Tod und vor dem was der Kunibert auch aus Euch macht. drückt es weg. Ihr jammert ,mit Luxusproblemen. Was zählt ist einzig und allein die nächste CHemotherapie, die Bestrahlung oder die nächste Mahlzeit für den Patienten.

Liebe Angehörige, solltet ihr tatsächlich eure Sachen gepackt haben und gegangen sein… Das geht gar nicht. Ihr seid selbstsüchtig und egoistisch.

Aber jetzt mal im Ernst…

Liebe Angehörige, egal was ihr macht…ihr werdet immer Tipps bekommen, wie ihr es besser machen könntet. Es wird immer Jemanden geben, der Euer Handeln verwerflich findet oder in Frage stellt. Auch wenn es nicht gern gesehen wird, auf den Angehörigen, besonders dann wenn es die Partner sind lastet ein enormer Druck. Viele Augen sind auf Euch gerichtet, viele Zeigefinger werden gehoben. Oft gibt es kluge Ratschläge anstatt Unterstützungsangebote.

Euer Alltag hat sich binnen kurzer Zeit komplett verschoben, interfamiliär werden die Aufgaben neu verteilt und es dauert manchmal ein wenig seinen Weg damit zu finden. Und manchmal ändert sich der Weg auch, und dann nochmal und nochmal.

Liebe Angehörige, lasst Euch eins gesagt. Ihr Vollbringt eine Meisterleistung. Lasst Euch von Außen nichts einreden, denn Niemand außer Euch weiß, wie es sich anfühlt einem Kunibert machtlos gegenüber zu sitzen. Auch nicht der beste Freund, Die schwester oder sonst wer . Denn ihr seid es, die 24//7 vor Ort sind. Ihr erlebt nicht nur ein paar Eindrücke, ihr rockt das Ding, jeden Tag.

Im Laufe der letzten Jahre haben ich Angehörige Partner kennengelernt, die der Situation auf Dauer nicht standhalten konnten und gegangen sind. Ich kann mich an Erzählungen von wahnsinnig vielen Vorwürfen erinnern, dass man das nicht macht wenn man liebt. Liebe Angehörige, wenn ihr nicht könnt, dann könnt ihr nicht und das ist okay so. Nicht nur bei uns ist es so, dass sich Freunde und co. immer seltener sehen lassen. Es ist schwer den Zerfall mit anzusehen oder Streitigkeiten stehen im Weg. Das wird von Außen aktzeptiert. Wendet ihr Euch aber ab, dann geht das gar nicht. Ich habe ehrlichgesagt keine Erklärung warum da diese gravierenden Unterschiede gemacht werden. Es ist okay, denn auch ihr seid trotz einem Kunibert ein eigenständiger Mensch.

Solltet ihr genau das Gegenteil machen, euch nahezu aufopfern. Dann vergesst Euch tatsächlich selbst nicht. Ich weiß, dass ihr verlegen lächelt, wenn ihr lieb gemeinte Tipps bekommt, die Euch sagen, dass ihr doch mal raus müsst. Das wisst ihr im Grunde selbst. Aber ihr habt Angst, Euer gegenüber allein zu lassen weil völlig unklar ist, wer an Eurer stelle dann vor Ort sein wird.

Wenn ihr mit Euerm Partner streitet, dann dürft ihr das. Denn auch wenn ein Kunibert im Haus ist, gibt es da noch etwas…das nennt sich Beziehung. Eine Krebserkrankung bringt oft Frust mit sich, Angst und jede Menge Stimmungsschwankungen. Tipps wie,  „beziehen sie nicht jede Äußerung auf sich, er/sie meint es nicht so“ klappen eine Weile aber irgendwann, ja irgendwann eben nicht mehr. Und wisst ihr warum, auch wenn ihr heldenhafte Dinge verbringt, ihr seid trotzdem noch menschlich, mit Gefühlen und so. Streitet, laut und leidenschaftlich. Das kann helfen. Streiten gehört zu jeder Beziehung, auch zu einer in der die Krabbe wohnt. Streitet, schreit und vertragt Euch danach wieder.

Liebe Angehörige, ihr dürft jammern, ins Kissen weinen und die Welt verfluchen. Ihr dürft alles, was Euch gut tut. Auch wenn ihr Stimmen von außen hören werdet,die Euch etwas anders sagen. Ihr dürft und sollt es sogar. Ich weiß, wie sich ein Leben zwischen putzen, Arztterminen, Nebenwirkungen, großer Angst und Spritzen setzen anfühlt. Ich werde mir bald einen Sandsack besorgen, ich hab gehört dass das helfen soll. Wenn ihr Euch eingesperrt fühlt… dann tut das aber verfallt dabei nicht in Selbstmitleid. Das Leben ist ein anderes geworden. Aber eines sein versprochen…irgendwann wird es wieder eine Zeit geben, in der ihr tatsächlich auch Zeit habt. Die wird kommen, wie auch immer das aussehen wird.

Liebe Angehörige hört auf Euren Bauch, macht das was ihr könnt, zieht zur Not die Notbremse. Es ist wie bei der Kindererziehung, eigentlich gibt es immer irgend Jemanden, der es besser weiß. Wir sind nur die Angehörigen. Und Außenstehende meinen es oft nicht böse, viel mehr ist es ein Zeichen der Hilflosigkeit. Denn Niemand außer Euch und Eurem Partner kann wissen, wie euer Leben im Moment wirklich aussieht.

Liebe Angehörige, auch ich wollte schon meine Koffer packen. Auch ich hatte so manches Mal Probleme, die Klinik zu betreten und brauchte einige Anläufe. Auch ich bin frustriert und weiß manchmal nicht, wie das alles weiter gehen soll. Als unser Held und ich uns gestritten hatten, redeten wir kurzfristig nicht wirklich miteinander. Ich erwischte mich dabei, dass ich den ganzen Tag lang seinen Mund angekuckt habe um mich daran zu erinnern, wie weich diese Lippen sind.

Ich werde vermutlich auch in Zukunft immer mal wieder ans Koffer packen denken. Aber ich werde es nicht tun. Damit bin ich nicht stärker oder mutiger als die Angehörigen, die sich anders entscheiden. Ich weiß, zu was ich in der Lage bin, das wusste ich bereits letztes Jahr sonst hätte ich nicht geheiratet. Ich bin nicht die „Vorzeigefrau“ und ich werde es vermutlich auch nie sein. Und auch ich wünschte, dass ich über einige Vorstellungen, die auf Angehörigen lasten ausblenden könnte.

Liebe Angehörige Partner, egal wie ihr Euch entscheidet, es gibt ein Leben unabhängig von Kunibert. Es gibt trotzdem eine Beziehung, es gibt trotzdem ein Familienleben, nur dass es eben so ganz anders ist als vorher. Aber ich glaube, dass sich manche Dinge auch zum positiven ändern können.

Ihr Lieben, ihr habt so unendlich viel Kraft und wisst es oft gar nicht. Euer Partner hat eine schwere Erkrankung und ihr damit auch irgendwie. Ihr tut euer bestes, auch wenn ihr es manchmal gar nicht bemerkt. Ihr steht im Hintergrund, aber seid so wichtig.

Ich verstehe nicht warum es so schwierig ist Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige zu finden. Es gibt sie, aber es sind nicht viele. Von Angeboten für angehörige Kinder spreche ich erst gar nicht.

Aber das Leben bleibt lebenswert. Zerrt von guten Tagen, von kleinen Ausflügen und wenn es nur eine „Runde um den Block“ oder ein gemeinsames Essen ist. Es gibt diese Tage noch, bestimmt auch bei Euch. Es dauert manchmal eine Weile, sich genau auf diese Dinge zu konzentrieren und diese auch wahrzunehmen. Aber es gibt sie noch; Momente voller Glück und Hoffnung.

Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Auch wenn der Lieblingsmensch unheilbar erkrankt ist, liegt es an Euch wie ihr damit umgeht. Der Erkrankte trägt nicht die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden, er kann triggern, keine Frage aber die Verantwortung bleibt bei Euch. Daher ist jede Entscheidung, die ihr diezbezüglich trefft, jeder Weg den ihr geht in Ordnung und sollte auch von Außenstehenden und Freunden aktzeptiert werden. Es ist wichtig auf sich zu achten, sonst hilft es Niemanden.

Mein Leben, meine Verantwortung.

Ich kann das Haus im Moment nur selten bis gar nicht allein verlassen, es sei denn unsere Heldenkinder sind woanders unterwegs. Ein spontanes Kaffeedate mit FReunden ist eher nicht möglich, viele Dinge müssen abgesagt werden.Dann sind es die Abende, auf die ich mich fokussiere, die Kinder schlafen, der Held meistens auch. Dann bin nur ich da und kann mich nur auf mich konzentrieren. Ich glaube fest daran, dass es wieder besser werden wird und mein Privatleben zurückkommen wird. Dieser Gedanke hilft.

Es gibt Gedanken in meinem Kopf, für die ich mich manchmal nicht leiden kann. Aber im Grunde weiß ich doch, dass ich fühlen darf. Auch wenn es manchmal nicht so leicht ist.

Liebe Angehörige, jeder von uns darf das auch wenn es uns manchmal anders vorkommt. Niemand außer Euch weiß, wie sich dieser Alltag, diese Angst und auch Hoffnung anfühlt. Ihr fühlt die Belastung, andere können sie nur erahnen. Seid nicht so streng, mit Euch und euerm Umfeld.

Von Außen betrachtet lassen sich leicht Urteile fällen. Das tut jeder von uns schnell und manchmal unbedacht.

Ich schreibe das hier übrigens nicht um mich in den Himmel zu loben, sondern weil ich die Erfahrung gemacht habe wie gut es sich anfühlen kann, von Menschen Dinge zu hören die man selbst nur zu gut kennt. dinge von denen man sich fragt ob die Ordnung sind. Wenn ich von anderen Angehörigen, die in einer ähnlichen Situation sind höre, dass sie manchmal ähnlich denke wie ich, dann ist mein schlechtes Gewissen ein kleines bisschen gezähmt.

Aber eins muss ich Euch noch sagen…Liebe Angehörige, wenn ihr Morgens aufsteht, in den Spiegel seht und Euch erschreckt wie zerknittert ihr ausseht…ich muss Euch leider sagen…ja! ihr seht tatsächlich so aus, Augenränder wie Fahrradschläuche, Falten wo vorher keine Falten waren und Pickel, jede Menge Pickel. Ich habe inzwischen eine tolle Creme gefunden, die zumindest die schlimmsten Spuren vorübergehend wegzaubert. Euer Lieblingsmensch wird Euch nämlich sagen, dass ihr toll ausseht. Immer. Auch wenn eure Augen aufgrund von resoluter Müdigkeit kaum mehr erkennbar sind. Das darf so! Geht zum Drogeriemarkt eures Vertrauens, das hilft ein wenig. Schoki gibt’s da übrigens auch, vielleicht gibt’s noch nen Bäcker in der Nähe; Kuchen und so.

 

 

 

 

 

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