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Wie ist das eigentlich mit den Medikamenten

Lange hatte ich diesen Termin vor mir hergeschoben Ein Termin, von dem ich noch immer nicht ganz überzeugt bin, ob das so gut ist. 

Eines der „Hauptprobleme“ von trauernden Menschen scheint zu sein, dass die Außenwelt irgendwann wieder Normalität erwartet. Eines der Hauptprobleme von pflegenden Angehörigen ist oft, dass sich darauf verlassen wird, dass man da ist. Immer. Ohne zu wissen, was da genau vor sich geht.

In unserem Fall kommt nun beides zusammen. Blöd. Ungünstig. Überfordernd. Die letzten Monate, in denen unser Held mit uns zu Hause wohnte, hielten wir sehr unter Verschluss. Dass es ihm immer schlechter ging, war ab spätestens Januar nicht mehr zu übersehen. Was ab März/April aber bei uns zu Hause  geschah, das sah niemand. Weil wir nicht darüber gesprochen haben. Weil es kaum ein genaueres Hinsehen gab.

Es ist nicht immer alles so, wie das, was Du glaubst zu sehen. Falls Ihr pflegende Angehörige im Bekanntenkreis habt, merkt Euch diesen Satz.

Nun ist es so, dass ich die Vollbremsung hinter mir habe. Mit 200 Kilometer in der Stunde gegen eine Wand, ohne Sicherheitsgurt. Aber davon erzählte ich bereits. In den ersten Wochen nach Simons Sieg über Kunibert war ich mit viel Schriftkram beschäftigt. Diese Dinge sind bis heute auch noch nicht abgeschlossen… So richtig realisiert habe ich Simons Tod vor etwa 2 Monaten. Dann war es plötzlich da, ein tiefes, tiefes Loch. Schwarz, kalt und mit Spinnenweben. Die Tage wurden immer länger, die Nächte noch länger. Entweder war ich wahnsinnig hippelig oder aber mir fiel es schwer, morgens überhaupt aufzustehen. Ich schlafe nach wie vor auf dem Sofa. Ich merke, dass ich mich nach wie vor nicht um mich selbst kümmere. An erster Stelle stehen unsere Kinder, sie gilt es aufzufangen. Der kleine Batman hatte Geburtstag, die Einhornbändigerin wechselte die Schulklasse und nun Weihnachten. Ich habe den Anspruch an mich, unseren Kindern alles so schön wie möglich zu machen.

Auch wenn ich es nicht zugeben will, aber das zehrt. Das dunkle Loch wird immer tiefer. Ich bin erschöpft. Ich habe keine Visionen mir etwas anzutun, ganz und gar nicht. Aber ich will auch, dass das so bleibt. Der normale Menschenverstand sagt nun: „Die hat doch zwei Kinder, die macht so was nicht“. Ich sage diesen Satz in ähnlicher Variante auch zu meiner Therapeutin. Sie meinte: „Der Krebserkrankung ihres Mannes war es egal, ob er Kinder hat oder nicht. Ihrer Depression, ihrem Burn Out könnte das irgendwann auch egal sein. Beides sind Erkrankungen, beides hat sich niemand ausgesucht“. Autsch

In meinem Fall könnte es auch einfach nur eine Überlastungsreaktion sein. Wer weiß. Aber ich merke, dass ich auf der Stelle trete. Und das mochte ich noch nie.

„Du bist so stark“, „Du machst das richtig“, „Ich ziehe meinen Hut“. Das sind Dinge, die ich hier öfter von Euch lese. Ich lese sie und versuche sie anzunehmen. Aber am Ende lese ich sie nur.

In Wahrheit versuche ich einfach nur, der sich weiter drehenden Welt hinterher zu kommen. An manchen Tagen gelingt das gut, an anderen Tagen zehrt es. Es ist nicht so, dass ich es nicht schaffe, aber ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich mir eingestehen muss, dass ich es ohne medizinische Hilfe eventuell nicht packe, bzw. dass es ohne diese Hilfe einfach zu lang dauert. Mich nervt dieses ganze Gefühlswirrwarr.

Am Montag hatte ich einen Termin bei einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. Obwohl ich recht frei von Vorurteilen in diese Richtung bin, ist das schon merkwürdig, wenn es plötzlich man selbst ist, der da im Wartezimmer sitzt.

Ich fühlte mich unwohl.

Seit etwa 3 Monaten sagt meine Therapeutin, dass mir ein leichtes Antidepressiva helfen kann. Es ist kein Zaubermittel. Es macht die Welt nicht wieder rosa. Es ist eine Art „Krücke“ oder es ist die erste Sprosse auf der Strickleiter. Und nun saß ich nach vielen Worten wie: „Ich brauch das nicht“ nun doch hier. Im Wartezimmer.

Es folgte ein Gespräch, warum ich da bin, wer mich „geschickt“ hat und überhaupt alles. Danach ein kurzer medizinischer Check Up. Der ist sowieso nötig gewesen. Vielleicht ist es dem einen oder anderen schon auf einigen Fotos aufgefallen: Ich habe in den letzten Wochen vermehrt mit Wassereinlagerungen zu tun, besonders in den Händen und im Gesicht. Das stört sogar mich. Mal ist es da, mal nicht. Ein Termin für einen großen Check diesbezüglich habe ich im Januar.

Der Termin dauerte eine knappe Stunde.

Irgendwann kam das Thema Medikamente und deren Nebenwirkungen zur Sprache. Antidepressiva, die mir helfen sollen. Medikamente, die meinen leergefegten Serotoninspiegel wieder auffüllen müssen.

Die letzten 12 Monate haben mich mehr gefordert, als es die Zeit davor jemals getan hatte. Sowohl die Ärztin, als auch meine Therapeutin meinten, dass es nicht verwunderlich sei. Dass es normal sei. Dass es okay sei nicht okay zu sein. Ich könnte es nicht ändern und brauch nun Hilfe, auch wenn es sonst immer allen ging.

Am späten Nachmittag rief mich meine Therapeutin an, die eigentlich Urlaub hat. Ich glaube ja, dass sie nur sichergehen wollte, dass ich auch bei der Ärztin gewesen bin. Sie kennt meine ambivalente Einstellung zu diesem Thema. Sie wirkte erleichtert, meinte dass ich immer daran denken soll, dass dies nur vorübergehend sein wird. Wir telefonierten eine halbe Stunde. Ich stand schluchzend am S-Bahnhof, mit meinem nassen Taschentuch in der Hand und versuchte ihren Worten zu glauben.

Sie sagte, dass ich großartig mit unseren Kindern umgehe, dass ich meine ganze Kraft dahingehend investiere. So genau weiß ich nicht, was sie mir damit sagen will.

In der Anfangszeit soll ich mich auf Übelkeit und Schwindel einstellen. Es kann sein, dass diese Nebenwirkungen mich lahmlegen. Also werde ich die erste PiIlle an Weihnachten nehmen. Da ist sowieso alles anders und ich habe keine Kitawege vor mir. Sicher ist Sicher.

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