Bin ich zu stark, seid ihr zu schwach

Es gibt ja so Worte, die ich einfach nicht mehr hören kann. Weil sie nicht für alle gelten. Weil sie unnötig sind. Weil ich ehrlich gesagt gar nicht sagen kann, was das bedeuten soll.

In einem der Zimmer steht eine Hantelbank. Dazu gehören Gewichte und eine Langhantel auf der 50 Kilo Gewichte hängen. Als wir letztes Jahr die Presse öfter mal im Haus hatten oder wenn Handwerker zu Besuch sind oder auch Leute, die noch nie hier waren kommt die übliche Reaktion: „Ohhhh wem gehören die denn?“ Manchmal folgte dem noch ein kurzer Hochhebetest, ob die Gewichte doch nicht nur täuschend echte Ballons wären. Insofern die Kinder Hörweite waren, reagierten Beide abwechselnd immer sehr trocken „Die gehören Mama, sie war schon immer die Stärkste hier“ Eine kleine Info am Rande; die 50 Kilo hebe ich nicht über meinen Kopf, die Langhantel samt dem 50 Kg Gewicht benutze ich zum Kreuzheben. (Aus einer Art Kniebeuge mit Hantel langsam hochkommen. Die Hantel kommt dabei auf Hüfthöhe)

Ich weiß immer nicht was genau ich auf die Frage, wenn diese Gewichte gehören sollten antworten soll. Ich bin die einzige Erwachsene in diesem Haus. Und das richtige Sportgerät für Kinder ist dieses Hantelzeug nur bedingt. Aber gut, es könnten Relikte aus der Heldenzeit sein. Ich schweife ab, verzeiht.

Wenn die Kinder so erzählen, dass ich ihrer Meinung nach schon immer die Stärkste hier war, kommt ab und an die Antwort (zumindest von Menschen, die unsere „Geschichte“ irgendwie kennen) „ja, stimmt. Das war ja auch nötig“

Warum war das nötig? Körperlich mag das Vorteile gehabt haben. Es gab eine Zeit in der ich mein eigenes Körpergewicht stemmen konnte. Ich hatte Muskeln, die man sogar sehen konnte. Inzwischen wiege ich ein klitze kleines bisschen mehr als 50 Kilo (hust….) und meine Muskeln haben sich unter einer Fettschicht versteckt.

Aber dieses“ Gut dass sie so stark sind.“ Oder auch „Du musst jetzt stark sein“ kotzte (sorry) mich eine Zeit so dermaßen an. Da halfen mir auch diese 50 kg Hanteln nicht. Ich MUSSTE immer die starke sein, die die da ist wenn es brennt. Die die versucht über eine Hundewiese zu gehen ohne in einen Haufen zu treten. Das erste Mal hörte ich diese Worte, als ich mit 16  aufgrund von sexuellem Missbrauch in ein betreutes Wohnen gezogen bin. Ich hatte eine total „kompetente“ Therapeutin müsst ihr wissen. Später als mein Vater im Krankenhaus lag. Mit starken Schmerzen, einer Kackdiagnose und mit Morphinen vollgestopft. Er wimmerte, erkannt aber hat er mich nicht. Ich stand da an seinem Bett, in meinem Rücken irgendein Betreuer, der mich zu diesem Besuch begleitete. „Du musst jetzt stark sein“, hörte ich fast schon wie im Rausch vor lauter Angst.

Ich hörte diese Sätze als das große Kind mit Startschwierigkeiten auf die Welt kam und auch als sie mit 14 Monaten von einem Rettungssanitäter verkabelt worden ist, weil sie auf Grund ihres ersten Epileptischen Anfalls blau vor mir lag. „Ich musste fucking stark sein“

Im Laufe der Erkrankung meines Mannes viel dieser Satz natürlich auch oft. Von der Familie, von seinen Freunden. An dem 5.7.2018, als ich wusste dass Simon binnen der nächsten Stunden versterben würde, weil ich die Einverständnis für „das Geräteausschalten“ gegeben hatte, rief mich meine Mutter ständig an. Sie kennt mich. Sie weiß dass ich nicht stark bin. Zumindest nicht stark genug. Meine beste Freundin sagte Termine ab und blieb bei mir. Auch sie kannte mich. Inzwischen weiß ich, dass meine Mutter die ganze Zeit Panik hatte, dass ich in der Klinik selbst zusammenbreche. Ich bin es nicht. Dafür hatte ich keine Zeit.

Andere Lieblingsmenschen von Simon kamen um sich verabschieden. Ich saß teilnahmslos an seinem  Bett, betrachtete sen dicken Schlauch in seinem Hals und hoffte dass er von all dem nix mitbekommen würde. Seine Lieblingsmenschen verabschiedeten sich, wünschten ihm eine Gute Reise. Mir klopften sie auf teilweise auf die Schulter. Manche stumm. Andere sagten „Du musst jetzt stark sein“

Ich weiß dass dies eine Floskel ist, die nicht böse gemeint ist. Ich nehme es Niemanden übel. Ich denke, dass es Worte sind, die sich bei kompletter Überforderung grade noch so mit dem Mund formen lassen. Ich weiß das alles. Und trotzdem überforderten mich diese Worte. Weil wir einen Kaiserschnitt vom kleinem Batman planten, damit Simon bei der Geburt dabei sein konnte. Weil wir sicher waren, dass er dann noch leben würde.

Und dennoch. Als es Simon in seinen letzten Monaten immer schlechter ging und ich zwischen seiner Pflege, den Kindern und dem alltäglichen Wahnsinn ruderte fühlte ich mich oft von „Draußen“ beobachtet. Als wäre es selbstverständlich dass ich diese 50 Kilohantel stemmen könnte. Es war auch lange Zeit selbstverständlich für mich. Den Muskelkater nahm ich nicht wahr. Der verletzten Muskeln ebenso wenig.

Aber ich war nie stark. Ich hatte einfach nur keine Zeit schwächer zu sein. Ich war hätte nicht immer stark sein müssen. Ich hatte aber gar keine Zeit über all das überhaupt nachzudenken. Das was oft in meinem Leben geschah, mein Handeln; es war nie stark. Es war immer ein verzweifelter Versuch alles richtig zu machen. Es war ein Versuch den Kopf über Wasser zu halten. Ich hatte in Extremsituationen keine Zeit zum Untergehen. Und den Schwimmring, der mir hätte helfen können; den habe ich in diesen Momenten nicht gesehen. Ich wusste nur dass ich stark sein musste. Ich redete mir das irgendwann immer wieder selber ein. Weil ich Angst vor dem Untergehen hatte.

Nach Simons Beerdigung weiß ich, dass mir auch das beste Training mit der 50 Kilo Hantel nicht geholfen hat. Ich hätte nicht stark sein müssen. Ich hätte nicht immer Versuchen müssen den von mir gefühlten Erwartungen von Außenstehenden zu entsprechen.

Im Moment habe ich den Satz ab und an auch gehört. „Du musst stark sein, jetzt besonders. Deine Kinder brauchen Dich“ Richtig, das tun sie. Und ich werde es sicher nicht riskieren, dass ich dem nicht nachgehen kann. Aber auch dafür MUSS ich gar nix. Nicht stark sein. Keine 50 Kilo Hantel über die Schulter werfen und damit noch joggen gehen.

Dass das Leben weiter geht weiß ich auch ohne, dass man es mir gesagt hätte. Ich geh dadurch. Manchmal durch eine Wüste. Mit hohen Sandbergen. Oder ich schwimme durch ein Meer. What ever. Aber das klappt auch mit Schwimmflügeln und ohne eine weibliche Form von Hulk zu sein.

Und wenn ich nach außen dann doch mal recht taff wirke, dann überfordert es die Anderen manchmal. Weil zu taff wäre. Weil ich zuviele Päckchen habe und trotzdem noch aufrecht laufen kann . Was denn nun? Stark sein muss ich. Aber dann bitte alleine. Denn dieses Du musst stark sein, scheint immer nur für eine Person in einer bestimmten Situation zu gelten. Aber zu stark zu wirken ist auch nicht richtig.

Keiner von Euch MUSS etwas sein. Auch nicht stark. Oder schön. Oder ein social Butterfly.

Ein Gedanke zu „Bin ich zu stark, seid ihr zu schwach

  1. Du sprichst mir aus der Seele! Das ist wie „Da musst du jetzt durch!“ Als ob man eine Wahl hätte…
    Ich muss mich immer wieder selbst daran erinnern, dass die Leute es nicht böse meinen.
    Aber immer dieses „du musst“… Ich möchte jedes Mal schreien: „Gar nix muss ich! Schnaufen muss ich, damit ich nicht umfalle und sonst gar nix!“

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