Manchmal hasse ich mich

Die letzten Jahre haben uns einiges gelehrt. Sie zeigten uns, dass egal was wir tun werden, im Grunde alles umsonst sein wird. 2012 brach es wie eine Naturgewalt, die kaum hätte größer sein können über uns hinein. Im Juni 2012, zu diesem Zeitpunkt kannten der Held und ich uns 3,5 Jahre. Der kleine Batman in meinem Bauch und die Einhornbändigerin an der Hand. Es brach ein Sturm aus, eine riesige Flutwelle. Alles was wir vorhatten wurde plötzlich weggerissen. Damals waren wir kaum in der Lage dieser Situation stand zu halten. ich war fast 28 Jahre alt, der Held sollte bald 32 werden.IMG999

Als es dem Helden nach der ersten autologen Transplantation besser ging, wären wir fast getrennte Wege gegangen. 317780_356063121155058_1203215988_nWir haben oft gestritten. Besonders ich war oft recht unfair und war so frustriert. Unser Held war aber auch ganz gut darin. Wir waren beide nicht besonders nett zueinander. Der Heldensohn wurde geboren und uns wurde gesagt, dass ich alleinerziehende Mutter von zwei Kindern sein werde. Das konnte alles nicht sein, so hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Es gelang mir kaum, mit diesem Frust und dieser Angst umzugehen. Der Held und ich sind in dieser Zeit nicht näher zusammengerückt, sondern jeden Tag ein klein wenig mehr auseinander. Unser Held sah nur Kunibert, wie ihm sein Leben davonrennt und wollte plötzlich alles machen, worauf er Lust hatte. Ich sah auch nur Kunibert und auch ich sah dass sein Leben wegrennt, so schnell dass Niemand hätte hinterherkommen können. Ich igelte mich ein, nahm Abstand und suchte Gründe zum streiten. Ich war so sauer, sauer auf Kunibert. Und da Kunibert im Helden wohnt, auch auf ihn. Diese Machtlosigkeit fraß mich auf, der Gedanke dass Kunibert irgendwann wieder aufwachen wird, gleich noch viel mehr. Ich spürte, dem einfach nicht gewachsen zu sein.IMG098

Damals hasste ich mich oft für diese Gedanken. 2011, knapp ein Jahr bevor wir von Kunibert erfahren hatten, waren der Held und ich für einige Zeit getrennt, fanden dann aber wieder zusammen. Ich hasste mich für die Fragen, was wäre gewesen wenn wir nicht wieder zusammengekommen wären? Dann wüsste ich von dem ganzen Drama womöglich gar nichts und wenn doch würde es mir weniger ausmachen. Vielleicht stritten wir auch deshalb so viel. Ich redete mir ein, dass es einfacher ist, wenn wir nicht zu nah miteinander sind. Denn dann würde mich der plötzliche Verlust nicht so überrollen. Das klappte natürlich nicht und irgendwann gelang es uns, wieder zurück in die Beziehung zu finden.

Im Dezember 2016 war Kunibert zurück. Wir dachten uns das bereits, aber wenn es dann plötzlich schwarz auf weiß in diesem Arztbrief steht ist es nochmal etwas anderes.

Es war 3 Wochen vor dem 36. Geburtstag des Helden. Der kleine Batman lag zeitgleich nach einer Mandel OP im Krankenhaus. Wir haben nicht gestritten sondern haben es tatsächlich geschafft zu reden, uns in den arm zu nehmen und daran zu Glauben, dass wir alles was nun kommen mag auch ein zweites Mal schaffen werden.IMG-20170403-WA0019

Im Laufe der folgenden Chemotherapien, der Hochdosis und der Nebenwirkungen gab es sie wieder, die Fluchtgedanken. Es sollte sich recht schnell zeigen, dass sich Kunibert dieses Mal nicht so schnell von den ganzen Therapien beeindrucken lässt. Wir stritten deutlich weniger. Stattdessen stumpften wir im Laufe der Zeit ab. Ich denke, ich sogar mehr als der Held. Ich kann recht trocken über Kunibert reden, auch darüber dass eine Zeit kommen wird in der wir ohne unseren Helden zurechtkommen werden müssen.

Der Held und ich reden über eine Zeit ohne ihn. Wir reden über Halbwaisenrente für den Heldensohn, über Hospize und wie lange es möglich sein wird dass ich ihn zusammen mit Pflegekräften zu Hause betreuen werde. Noch sind wir nicht an diesem Punkt, aber wir reden darüber.31392917_1667250726702951_5512195280050585600_n

Ich hasse mich manchmal dafür, dass ich so abgestumpft bin und Gefühle schlecht zulassen kann. Das lässt mich kalt und bestimmt auch eigensinnig wirken. Eigensinnig bin ich, das war ich schon immer. Aber kalt bin ich nicht, auch wenn es, besonders jetzt nach außen anders erscheint. Wenn ich alle Gefühle, die tief in mir verankert sind zulassen würde, dann würde ich vermutlich Amok laufen, durchdrehen und wäre nicht im Stande jeden Tag aufzustehen. Ich fühle mich manchmal einsam, sorge aber selbst dafür. Ich igel mich ein und habe im Moment kaum kraft dafür irgendwelche sozialen Kontakte zu pflegen. Denn auch dort gibt es nur ein Thema; Kunibert.

Ich hasse mich dafür, dass ich es nicht mehr ertrage dass es nur noch dieses Thema gibt. Ich liebe unseren Helden, sehr. Und ich wünsche mir für ihn jede Unterstützung, die er bekommen kann. Aber ich hasse mich manchmal dafür, dass auch ich mir eine starke Schulter wünsche, obwohl ich doch eigentlich dagegen arbeite.

Der Held und ich haben einen tiefen Respekt vor dem Tod. Wir wissen nicht genau, wann es soweit sein wird. Ich habe, abgesehen von meinen Großeltern noch nie den Verlust eines mir lieben Menschen erleben müssen. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlen wird. Wie der Weg dahin sein wird, das weiß ich noch viel weniger.

Inzwischen ist 2018. Und inzwischen haben der Held und ich begriffen, dass unsere Beziehung dem Stand hält. Mit Höhen und Tiefen, aber sie hält. Ich bin immer noch abgeklärt und mache vieles mit mir selbst aus. Unserem Helden ergeht es ähnlich. Aber ich glaube, dass wir voneinander wissen, dass wir gegenseitig für einander einstehen werden. Andernfalls hätten wir letztes Jahr nicht geheiratet. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde ,mir zwischendurch nicht immer mal wieder die FRage zu stellen, was wäre wenn wir damals nicht wieder zusammengefunden hätten. Für diesen Gedanken hasse ich mich immer noch hin und wieder.31300823_1666103596817664_9167833707376017408_n

Aber dann sehe ich mir unseren Helden an, wie er mit den furchtbarsten Schuhen dieser Welt (sorry….) über die straße schlurft, mit seinem ganz speziellen Gang. Ich sehe wie er seinen Mund spitzt formt, wenn er sich konzentrieren muss. Ich sehe sein Stirnrunzeln, wenn er mir mein Chaos hinterher räumt.P1100919 (2) ich sehe den schon bekannten Einkaufsquittungenberg. Ich sehe das Lächeln in seinem Gesicht, wenn ich mich über völlig belanglosen Kram aufrege. Ich sehe seine Zahnbürste neben meiner und die der Heldenkinder stehen. Ich höre sein leichtes schnarchen, wenn er abends auf dem Sofa einschläft, obwohl er überhaupt nicht müde ist. Ich höre seine Stimme, die unendlich weich und liebevoll sein kann und meistens auch ist. Ich höre, wie sich seine stimme verändert wenn er telefoniert, er scheint dann fast zu singen. Ich spüre seine Hand auf meiner.

Und ich bereue nichts. Auch wenn unsere, vor allem meine Situation dann eine andere wäre. Ich hätte auch vieles, ganz vieles positive verpasst. Wir sind inzwischen seid 9 Jahren und 4 Monaten zusammen, seid 10 Monaten verheiratet. Und ich könnte mir Niemand Besseren an meiner Seite vorstellen.HoneymoonPictures_Ines&Simon-416

Kunibert hat uns nicht gefragt, ob er bei uns einziehen darf. er tat es einfach. Niemand kann etwas dafür, außer der Krabbe selbst.Am Samstagabend haben wir Kinderfrei und „feiern“ unseren 10. Hochzeitstag (unsere Zeitrechnung ist anders, ihr wisst schon). Wir werden nicht ins Kino gehen auch nicht Essen. Dafür reichen die Leukozyten des Helden, also das Immunsystem nicht aus. Menschenmassen sind gerade nicht so angesagt. Vermutlich wird’s ein DVD Abend und dem Pizzalieferservice als Koch.

Es gibt diese Momente, die mir meine Grenzen zeigen. Und ich schaffe es nicht immer darüber hinaus. Dafür hasse ich mich manchmal. ich wünschte, es gäbe Mutpillen und einen Kraftsaft. Im Moment bin ich nicht in der Lage arbeiten zu gehen. Ich schlafe kaum, begleite den Helden zu manchen Terminen und hab an schlechten Tagen Angst das Haus zu verlassen und den Helden allein zu lassen. Heute aber ist ein guter Tag. Der Held fühlt sich recht gut.31460858_1667198216708202_2191460651367399424_n

Ich hasse mich manchmal dafür, dass ich nicht die bin, die ich gern sein würde. Eine Frau mit etwas mehr Power, Durchhaltevermögen und der Fähigkeit das alles besser „wegstecken“ zu können. Vielleicht gibt es sowas auch gar nicht, aber toll wäre es schon. Ich glaube, wir machen das ganz gut zusammen und rocken unser Leben so gut es irgendwie geht. Ich wünschte mir nur, dass ich dauerhaft standhalten kann und nicht an manchen Abenden, wenn keiner zusieht einfach kurz einbreche. Ich mag das einfach nicht.

 

 

3 Gedanken zu „Manchmal hasse ich mich

  1. Du kannst dir aufrichtig und kräftig auf die Schulter klopfen! Ihr macht das verdammt gut und ja, die Palette unserer Gefühle ist unendlich und alles sind wir. Da gibt es nichts wegzustecken, wohin auch? Momente zu Reden und zu schweigen, alles darf sein. Annahme von allem was ist….der Krebs, die Angst, das Lachen, die verrinnende Zeit….alles Liebe wünsche ich euch. Erika

  2. Ich kann so sehr mit dir fühlen. Ich bin auch jemand, der Gefühle nicht zulassen kann und schon gar nicht zeigen kann, der immer stark sein will und doch nicht ist. So ist leider das Leben und auch du brauchst mal eine starke Schulter, die dir wieder Kraft gibt mit dem Helden zu kämpfen. Jeder braucht mal die Momente, in denen er schwach ist und mal zusammenbricht. Das ist normal und gehört dazu. Das wichtige ist nur, was man daraus macht. Einfach mal den schwachen Moment genießen und dann wieder gestärkt aufstehen. Nicht sich dafür hassen!

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