Liebe Angehörige…

heute schreibe ich Euch, besonders an die Jeneigen, deren Partner an einem Kunibert erkrankt ist. Zu allererst möchte ich Euch sagen, egal was ihr macht oder auch nicht macht… es ist falsch und es wird immer Jemanden geben, der Euch genau das sagen wird.

Wenn ihr Euch rührend und nahezu aufopfernd um Euern kranken Partner kümmert, immer da seid und kaum Zeit für Euch habt, ist es nicht richtig. Vermutlich hört ihr Stimmen von Außen, die Euch sagen „nimm Dir Zeit für Dich selbst“, „fahr doch mal übers Wochenende weg“. Ihr denkt zu wenig an Euch selbst und sollt Euch Unterstützung holen. Richtig spannend wird es dann, wenn ihr noch Kinder habt. Selbstverständlich ist es wahnsinnig einfach  die Betreuung Euers Partners für 24Stunden täglich zu organisieren, denn wie ihr wisst, Eure Freunde kommen selbstverständlich regelmäßig vorbei.P1100571

Nehmt ihr Euch eine Auszeit und wenn es nur ein wöchentliches Date mit guten Freunden ist oder tatsächlich sogar über Nacht. Es ist falsch und verwerflich, denn wie könnt ihr Freizeit haben wenn euer Partner derweil zu Hause sitzt und allein bleiben muss. Wer hilft der Person. Und was ist eigentlich mit den Kindern? Sind die etwa beim Babysitter?

Liebe Angehörige, zeigt immer Mitgefühl und unterdrückt eigene Bedürfnisse. Solltet ihr einmal frustriert sein, wollt am liebsten weit weglaufen und streitet womöglich noch. Das ist ganz falsch, denn eigene Bedürfnisse dürft ihr als Angehörige nicht haben. Ihr seid Krankenpfleger, Koch, Seelsorger, Kinderbetreuer, Putzperson und Haushaltshilfe. Solltet ihr das Gefühl haben, dass eure Beziehung drunter leidet; ihr irrt Euch.

Wenn ihr Angst habt, vor der Zukunft, vor dem Tod und vor dem was der Kunibert auch aus Euch macht. drückt es weg. Ihr jammert ,mit Luxusproblemen. Was zählt ist einzig und allein die nächste CHemotherapie, die Bestrahlung oder die nächste Mahlzeit für den Patienten.

Liebe Angehörige, solltet ihr tatsächlich eure Sachen gepackt haben und gegangen sein… Das geht gar nicht. Ihr seid selbstsüchtig und egoistisch.HoneymoonPictures_Ines&Simon-425

Aber jetzt mal im Ernst…

Liebe Angehörige, egal was ihr macht…ihr werdet immer Tipps bekommen, wie ihr es besser machen könntet. Es wird immer Jemanden geben, der Euer Handeln verwerflich findet oder in Frage stellt. Auch wenn es nicht gern gesehen wird, auf den Angehörigen, besonders dann wenn es die Partner sind lastet ein enormer Druck. Viele Augen sind auf Euch gerichtet, viele Zeigefinger werden gehoben. Oft gibt es kluge Ratschläge anstatt Unterstützungsangebote.

Euer Alltag hat sich binnen kurzer Zeit komplett verschoben, interfamiliär werden die Aufgaben neu verteilt und es dauert manchmal ein wenig seinen Weg damit zu finden. Und manchmal ändert sich der Weg auch, und dann nochmal und nochmal.

Liebe Angehörige, lasst Euch eins gesagt. Ihr Vollbringt eine Meisterleistung. Lasst Euch von Außen nichts einreden, denn Niemand außer Euch weiß, wie es sich anfühlt einem Kunibert machtlos gegenüber zu sitzen. Auch nicht der beste Freund, Die schwester oder sonst wer . Denn ihr seid es, die 24//7 vor Ort sind. Ihr erlebt nicht nur ein paar Eindrücke, ihr rockt das Ding, jeden Tag.IMG-20170403-WA0015

Im Laufe der letzten Jahre haben ich Angehörige Partner kennengelernt, die der Situation auf Dauer nicht standhalten konnten und gegangen sind. Ich kann mich an Erzählungen von wahnsinnig vielen Vorwürfen erinnern, dass man das nicht macht wenn man liebt. Liebe Angehörige, wenn ihr nicht könnt, dann könnt ihr nicht und das ist okay so. Nicht nur bei uns ist es so, dass sich Freunde und co. immer seltener sehen lassen. Es ist schwer den Zerfall mit anzusehen oder Streitigkeiten stehen im Weg. Das wird von Außen aktzeptiert. Wendet ihr Euch aber ab, dann geht das gar nicht. Ich habe ehrlichgesagt keine Erklärung warum da diese gravierenden Unterschiede gemacht werden. Es ist okay, denn auch ihr seid trotz einem Kunibert ein eigenständiger Mensch.

Solltet ihr genau das Gegenteil machen, euch nahezu aufopfern. Dann vergesst Euch tatsächlich selbst nicht. Ich weiß, dass ihr verlegen lächelt, wenn ihr lieb gemeinte Tipps bekommt, die Euch sagen, dass ihr doch mal raus müsst. Das wisst ihr im Grunde selbst. Aber ihr habt Angst, Euer gegenüber allein zu lassen weil völlig unklar ist, wer an Eurer stelle dann vor Ort sein wird.

Wenn ihr mit Euerm Partner streitet, dann dürft ihr das. Denn auch wenn ein Kunibert im Haus ist, gibt es da noch etwas…das nennt sich Beziehung. Eine Krebserkrankung bringt oft Frust mit sich, Angst und jede Menge Stimmungsschwankungen. Tipps wie,  „beziehen sie nicht jede Äußerung auf sich, er/sie meint es nicht so“ klappen eine Weile aber irgendwann, ja irgendwann eben nicht mehr. Und wisst ihr warum, auch wenn ihr heldenhafte Dinge verbringt, ihr seid trotzdem noch menschlich, mit Gefühlen und so. Streitet, laut und leidenschaftlich. Das kann helfen. Streiten gehört zu jeder Beziehung, auch zu einer in der die Krabbe wohnt. Streitet, schreit und vertragt Euch danach wieder.HoneymoonPictures_Ines&Simon-317

Liebe Angehörige, ihr dürft jammern, ins Kissen weinen und die Welt verfluchen. Ihr dürft alles, was Euch gut tut. Auch wenn ihr Stimmen von außen hören werdet,die Euch etwas anders sagen. Ihr dürft und sollt es sogar. Ich weiß, wie sich ein Leben zwischen putzen, Arztterminen, Nebenwirkungen, großer Angst und Spritzen setzen anfühlt. Ich werde mir bald einen Sandsack besorgen, ich hab gehört dass das helfen soll. Wenn ihr Euch eingesperrt fühlt… dann tut das aber verfallt dabei nicht in Selbstmitleid. Das Leben ist ein anderes geworden. Aber eines sein versprochen…irgendwann wird es wieder eine Zeit geben, in der ihr tatsächlich auch Zeit habt. Die wird kommen, wie auch immer das aussehen wird.

Liebe Angehörige hört auf Euren Bauch, macht das was ihr könnt, zieht zur Not die Notbremse. Es ist wie bei der Kindererziehung, eigentlich gibt es immer irgend Jemanden, der es besser weiß. Wir sind nur die Angehörigen. Und Außenstehende meinen es oft nicht böse, viel mehr ist es ein Zeichen der Hilflosigkeit. Denn Niemand außer Euch und Eurem Partner kann wissen, wie euer Leben im Moment wirklich aussieht.

Liebe Angehörige, auch ich wollte schon meine Koffer packen. Auch ich hatte so manches Mal Probleme, die Klinik zu betreten und brauchte einige Anläufe. Auch ich bin frustriert und weiß manchmal nicht, wie das alles weiter gehen soll. Als unser Held und ich uns gestritten hatten, redeten wir kurzfristig nicht wirklich miteinander. Ich erwischte mich dabei, dass ich den ganzen Tag lang seinen Mund angekuckt habe um mich daran zu erinnern, wie weich diese Lippen sind.32673435_1684063151688375_929305123262300160_n

Ich werde vermutlich auch in Zukunft immer mal wieder ans Koffer packen denken. Aber ich werde es nicht tun. Damit bin ich nicht stärker oder mutiger als die Angehörigen, die sich anders entscheiden. Ich weiß, zu was ich in der Lage bin, das wusste ich bereits letztes Jahr sonst hätte ich nicht geheiratet. Ich bin nicht die „Vorzeigefrau“ und ich werde es vermutlich auch nie sein. Und auch ich wünschte, dass ich über einige Vorstellungen, die auf Angehörigen lasten ausblenden könnte.

Liebe Angehörige Partner, egal wie ihr Euch entscheidet, es gibt ein Leben unabhängig von Kunibert. Es gibt trotzdem eine Beziehung, es gibt trotzdem ein Familienleben, nur dass es eben so ganz anders ist als vorher. Aber ich glaube, dass sich manche Dinge auch zum positiven ändern können.

Ihr Lieben, ihr habt so unendlich viel Kraft und wisst es oft gar nicht. Euer Partner hat eine schwere Erkrankung und ihr damit auch irgendwie. Ihr tut euer bestes, auch wenn ihr es manchmal gar nicht bemerkt. Ihr steht im Hintergrund, aber seid so wichtig.

Ich verstehe nicht warum es so schwierig ist Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige zu finden. Es gibt sie, aber es sind nicht viele. Von Angeboten für angehörige Kinder spreche ich erst gar nicht.

Aber das Leben bleibt lebenswert. Zerrt von guten Tagen, von kleinen Ausflügen und wenn es nur eine „Runde um den Block“ oder ein gemeinsames Essen ist. Es gibt diese Tage noch, bestimmt auch bei Euch. Es dauert manchmal eine Weile, sich genau auf diese Dinge zu konzentrieren und diese auch wahrzunehmen. Aber es gibt sie noch; Momente voller Glück und Hoffnung.

Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Auch wenn der Lieblingsmensch unheilbar erkrankt ist, liegt es an Euch wie ihr damit umgeht. Der Erkrankte trägt nicht die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden, er kann triggern, keine Frage aber die Verantwortung bleibt bei Euch. Daher ist jede Entscheidung, die ihr diezbezüglich trefft, jeder Weg den ihr geht in Ordnung und sollte auch von Außenstehenden und Freunden aktzeptiert werden. Es ist wichtig auf sich zu achten, sonst hilft es Niemanden.

Mein Leben, meine Verantwortung.33684797_1695382037223153_1500830717624451072_n

Ich kann das Haus im Moment nur selten bis gar nicht allein verlassen, es sei denn unsere Heldenkinder sind woanders unterwegs. Ein spontanes Kaffeedate mit FReunden ist eher nicht möglich, viele Dinge müssen abgesagt werden.Dann sind es die Abende, auf die ich mich fokussiere, die Kinder schlafen, der Held meistens auch. Dann bin nur ich da und kann mich nur auf mich konzentrieren. Ich glaube fest daran, dass es wieder besser werden wird und mein Privatleben zurückkommen wird. Dieser Gedanke hilft.

Es gibt Gedanken in meinem Kopf, für die ich mich manchmal nicht leiden kann. Aber im Grunde weiß ich doch, dass ich fühlen darf. Auch wenn es manchmal nicht so leicht ist.

Liebe Angehörige, jeder von uns darf das auch wenn es uns manchmal anders vorkommt. Niemand außer Euch weiß, wie sich dieser Alltag, diese Angst und auch Hoffnung anfühlt. Ihr fühlt die Belastung, andere können sie nur erahnen. Seid nicht so streng, mit Euch und euerm Umfeld.

Von Außen betrachtet lassen sich leicht Urteile fällen. Das tut jeder von uns schnell und manchmal unbedacht.

Ich schreibe das hier übrigens nicht um mich in den Himmel zu loben, sondern weil ich die Erfahrung gemacht habe wie gut es sich anfühlen kann, von Menschen Dinge zu hören die man selbst nur zu gut kennt. dinge von denen man sich fragt ob die Ordnung sind. Wenn ich von anderen Angehörigen, die in einer ähnlichen Situation sind höre, dass sie manchmal ähnlich denke wie ich, dann ist mein schlechtes Gewissen ein kleines bisschen gezähmt.34534685_1704931456268211_8797266256949411840_n

Aber eins muss ich Euch noch sagen…Liebe Angehörige, wenn ihr Morgens aufsteht, in den Spiegel seht und Euch erschreckt wie zerknittert ihr ausseht…ich muss Euch leider sagen…ja! ihr seht tatsächlich so aus, Augenränder wie Fahrradschläuche, Falten wo vorher keine Falten waren und Pickel, jede Menge Pickel. Ich habe inzwischen eine tolle Creme gefunden, die zumindest die schlimmsten Spuren vorübergehend wegzaubert. Euer Lieblingsmensch wird Euch nämlich sagen, dass ihr toll ausseht. Immer. Auch wenn eure Augen aufgrund von resoluter Müdigkeit kaum mehr erkennbar sind. Das darf so! Geht zum Drogeriemarkt eures Vertrauens, das hilft ein wenig. Schoki gibt’s da übrigens auch, vielleicht gibt’s noch nen Bäcker in der Nähe; Kuchen und so.

 

 

 

 

 

6 Gedanken zu „Liebe Angehörige…

  1. Oh, was für ein schmerzhaft schöner Text. Ich verbringe seit knapp einem Jahr meine Zeit mit meiner Mutter und ihrem persönlichen Kunibert – und ja, ich wollte schon so oft spontan raus, weg, weit weg weit weg. Und stand doch immer wieder vor diesem Haus.
    Ja, man sieht es mir an, Augenringe, graue Haare und trauriger Blick auf Fotos inklusive.

    Das Hilfreichste, das mir jemand sagte, passt so schön zu deinem Anfang: „Ab jetzt kannst du nur noch alles richtig machen. Egal, was du tust, es hilft. Wenn du dir Zeit für dich nimmst und dann danach mehr Energie für sie hast, hilft es. Wenn du einfach da bist, auch. Wenn du den Alltag am Laufen hälst, ohne dabei Zeit für tiefsinnige Gespräche hast, hilft es trotzdem immer noch massiv.“

    In diesem Sinne, alles alles Gute!

  2. Jedes Wort stimmt. Nach einem Dreiviertel Jahr vollem Einsatz merke ich ganz langsam, das die Nerven dünner werden. Allerdings verbitte ich mir dumme Ratschläge. Und kriege auch wenige. Vielleicht strahle ich das aus. Eine Freundin von mir, die Palliativschwester ist, hat mir schon sehr früh gesagt: Ihr Angehörige leistet den Löwenanteil an der ganzen Arbeit. Aber mein Mann auch sehr lieb, auch wenn es ganz allmählich immer kritischer wird mit seinem Kunibert. Schlagt Euch weiter tapfer, Grüße von Sabine

  3. Sehr gut geschrieben👍 ich war vor Jahren Aupair bei einem 5-jähr. Jungen mit Hirntumor. Da war ich 27 und konnte lange nicht verstehen, wie seine Mama für 2 Wochen nach Griechenland in Urlaub fliegen konnte. Er war mitten in Behandlung. Der Papa war zwar auch in Wien, aber wir waren quasi alleine. War jetzt aber kein Problem. Jetzt habe ich selber 2 Kinder, Gott sei dank gesund und habe ganz andere Sicht, man muss manchmal weg, Zeit mit sich allein haben, mit klarem Kopf zurück kommen. Nach wie vor wären mir aber 2 Wochen ohne mein krankes Kind viel zu viel. Aber jedem das seine, Elias ist übrigens schon großer Mann mit 23😊 Alles Gute, Liebe Grüße aus Österreich

  4. Liebe Inés …. Du gibst uns einen so tiefen Einblick in Dein / Euer Leben . Ich lese alles was du postest . Ich möchte Dir sagen … das Du liebe Inés eine bemerkenswerte starke liebevolle fürsorgliche Frau und Mutter bist . Ich verneige mich vor DIR und Deiner sehr erlichen Schreibweise . Wenn ich lese was Du schreibst weine ich und mein Herz . Es macht mich unheimlich traurig was mit Deinem Helden passiert . In Gedanken bin ich täglich bei Dir und schaue immer in Dein Profil rein . Ich wünsche Dir und dem Helden weiterhin viel Kraft . Ich umarme euch von hier aus ❤️ Suzan

  5. Liebe Ines. Das was du schreibst trifft es auf den Punkt. Was mir manchmal sauer aufgestossen Ist, das nur gefragt wird wie es dem Kranken geht und fast kein Gedanken daran verschwendet wird wie es einem als Partner geht, der alles hautnah 24 Std am Tag durchlebt. Viele zerbrechen daran. Ich könnte Gott sei noch arbeiten gehen( teilzeit) was mich auch etwas auf andere Gedanken gebracht hat. Deine Texte bringen mich echt immer zum weinen. Ich wünsche euch noch viel gemeinsame Zeit mit den Heldenkindern.

  6. Ich lese deinen Blog nun schon eine Weile und so oft hilft es mir wenn ich lese das es euch auch so geht .denn als angehöriger fragt man sich so oft ob es “ normal “ ist was man tut und auch manchmal denkt 🙁Für die Patienten ist die Situation am schlimmsten ( da steht außer frage )aber halt auch für die angehörigen .Krebs verändert die Patienten aber halt auch die angehörigen .ständig fühlt man sich hin und her gerissen .und oft das Gefühl der Hilflosigkeit .manchmal wünsche ich mir mein früheres Leben zurück um dann gleich ein schlechtes Gewissen zuhaben sowas zudenken .
    Lass dir eins sagen du machst das alles so toll liebe ines .Ich wünsche dir / euch viel viel Kraft und drücke euch fest die Daumen das es schnell wieder besser wird

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