Das letzte bisschen lebendiger Simon; Heldenupdate

Wie ich bereits gestern erzählt habe, habe ich am Freitag unangenehme Post bekommen. Eine Rechnung. Das allein wäre nun nichts besonderes, denn seit Simons Konto endlich eingefroren ist, kommen hier ständig Briefe dieser Art an. Diese Rechnung aber kommt aus der Charité. Auch das ist an sich nichts besonders, aber dieser eine bestimmte Brief ist anders.

2012 kurz nach der Erstdiagnose und kurz vor der ersten Chemotherapie wurde unser Held darauf hingewiesen, dass er für später vorsorgen könnte. Er sei noch jung, erst 31 Jahre alt. Wer weiß schon was die Zukunft noch bringt, ob die Forschung voran kommt und das Multiple Myelom doch auf Dauer „ruhig gehalten“ werden kann. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit dem kleinem Batman schwanger, wir glaubten nicht an die niederschmetternde Prognose des Chefarztes von 3-4 Jahren Gesamtüberleben. Stattdessen hielten wir an der Hoffnung fest und für Simon hieß dies auch, dass er sich die Option offen halten möchte, noch einmal Papa zu werden.31381231_1666103833484307_1834820710434865152_n

Vor der Diagnose sprachen wir immer über 3 Kinder. Anfang 2011 hatte ich eine Abbort, eine Fehlgeburt in der 13. Schwangerschaftswoche. Dann nistete sich der kleine Batman bei mir ein, still, heimlich und für uns alle überraschend . Er sollte einige Jahre später ein großer Bruder werden.

Die Chemotherapie, besonders die Hochdosis würden aber vermutlich dafür sorgen, dass das so ohne weiteres nicht mehr funktioniert. Nach der Diagnose war für mich klar, dass das Baby in meinem Bauch, der kleine Batman unser letztes Kind sein wird. Für mich war es nicht zu vertreten später einmal bewusst ein zukünftiges Halbwaisenkind in die Welt zu setzten. Der damalige und auch heutige Stand ist der, dass das Multiple Myelom, also Kunibert nicht heilbar ist und mit einer stark eingeschränkten Lebenserwartung einhergeht.

Simon erzählte mir von den Ausnahmefällen, von Menschen die 20 Jahre mit dieser Erkrankung überlebt hätten. Es gab und gibt diese Patienten. Wir hofften insgeheim, dass unser Held dazugehören würde. Allerdings wurde mein Mann bereits mit Stadium 3 diagnostiziert, die Blutwerte waren irgendwo im Nirvana und es war ein Wunder, dass seine Organe nicht bereits versagt hatten. So doof es sich anhört, damals hatten wir Glück im Unglück.P1120158

Simon aber wollte den Gedanken an ein drittes Kind nicht aufgeben und entschied sich dafür seine Samenzellen einfrieren zu lassen. Nur so, falls ich mir das noch einmal anders überlege. Mein Held wusste, dass ich ein weiteres Kind nicht befürworte, ich sagte ihm dies auch mehrfach. Eingefroren sind seine Gene nun trotzdem und ich glaube nicht, dass er vorhatte diese für eine eventuelle, nächste Beziehung aufzubewahren. Auch wenn Niemand wusste, wie das Leben spielen wird, ich bin mir da ziemlich sicher.

Ich denke eher, dass es eine Art Hoffnungsträger für unseren Helden gewesen ist. Er hoffte auf ein drittes Kind, damit hoffte er auf eine Zukunft als Familienvater, er hoffte aufs Leben und alles was damit zu tun hat. Aufgeben war nie eine Option für ihn, er wollte sich diese Option, diese Möglichkeit nicht nehmen lassen. Es war mehr als nur ein Kinderwunsch, es war fast schon eine Art Monument der Zuversicht, dass am Ende alles gut werden wird.

Am Ende wurde auch alles gut, irgendwie. Simon hat keine Schmerzen mehr, muss keine Therapien mehr ertragen oder sich von mir zum Essen zwingen lassen. Unser Held siegte, nach fenomenalen 6 Jahren, die er immer wieder gekämpft hat. Er hat seinen Frieden und das ist gut. Ich muss mir das nur selbst immer wieder bewusst machen. Ich lieb Dich mein Held.38943685_911692375695191_5475090555069267968_n

Mitte/Ende 2016, Kunibert war noch im Winterschlaf wollte Simon seine gefrorene Genetik, seine Samenzellen einsetzen. Er sprach erneut von einem Kind, als würde er wissen was schon ganz bald passieren wird. Ich wollte nicht und sagte ihm, dass bei unserem Glück Kunibert zurückkehren wird, sobald ich schwanger bin. Ich erlebte bereits eine Schwangerschaft mit Kunibert, ein Wochenbett mit der Krabbe. Nochmal würde ich es nicht schaffen. Zum anderen war es immer noch so, dass das Multiple Myelom jeder Zeit wieder ausbrechen kann, es nach wie vor nicht heilbar ist und ich immer noch nicht bereit wäre bewusst ein Kind in eine Welt zu schicken, in der es langfristig ohne Vater aufwachsen wird. Wir stritten oft deswegen.

Wenige Monate später war Kunibert zurück und ließ sich von keiner Behandlung beindrucken. 36064124_1728599910568032_3981326815288360960_n

Nun ist Simon nicht mehr da, seine Samenzellen aber schon. Sie sind eingelagert und werden nicht zum Einsatz kommen. Die Halbjahresrechnung ignorierte ich, weil sie mir die Füße weggezogen hatte. Die erste Mahnung aber kam am Freitag. Mein Kopf schaltete sich ein, ich kann das nicht ignorieren, sonst wird’s unschön. Ich bezahlte die Mahnung und starrte auf dieses Blatt Papier, welches mir sagte, dass in der Charité noch ein Teil von Simon gelagert wird . Dieser Teil lebt und kann Leben erschaffen. Es sind Simons Zellen, die da liegen, lebendig. Mein Verstand sagt mir, dass ich den Vertrag kündigen muss, da ich nicht über Simons Genetik verfügen möchte. Mein Herz schreit dagegen und sagt, dass ich damit dafür Sorgen würde, dass der letzte Rest lebendiger Simon vermutlich im medizinischen Abfall landet. Spenden ist aufgrund der Kunibertdiagnose keine Option. Was also passiert nun?P1080820

Ich zahle die Rechnung, die nächste vermutlich auch, und die danach. Der Vertrag bleibt bestehen. Und das nur weil ich das Gefühl habe, dass sonst ein Stück lebender Simon im Abfall landet. Das kann ich nicht. Vor über 10 Wochen habe ich eine Unterschrift gesetzt, nein es waren sogar zwei. Simon durfte fliegen, er durfte die Intensivstation verlassen und sich ausruhen. Ich hadere nach wie vor mit dieser Entscheidung, diese „was wäre wenn Fragen“ machen mich noch wahnsinnig. Und nun soll ich schon wieder über Simon entscheiden, zumindest über einen Teil von ihm. Das pack ich nicht und fühle mich hoffnungslos überfordert. Es sind nur Zellen, das weiß ich. Aber es sind Simons Zellen. Es sind lebendige Zellen. Wenn ich den Vertrag kündige, leben sie nicht mehr. Sie würden entsorgt werden.

Natürlich kann ich mich mit den Lieblingsmenschen des Helden besprechen. Aber entscheiden und unterschreiben muss am Ende ich.

 

 

 

7 Gedanken zu „Das letzte bisschen lebendiger Simon; Heldenupdate

  1. Mein erster Gedanke, wie wunderbar ist das denn. Da hat ein kluger, beinahe weiser junger Mann vorgesorgt. Ein Geschenk an Dich, eine Hoffnung für ihn. In Dir, in dem Kind weiterzuleben. Du bist noch jung und Du könntest noch Kinder bekommen, was hindert Dich. Angst, vor allen Eventualitäten, (Katastrophen jeglicher Art, Krankheiten, Existenzängste, Versagensängste etc).
    Wenn es Liebe ist, war, warum nicht dieses Erbe annehmen. Denn es ist das einzige wirkliche Erbe, welches Dir gegeben wird. Eine Kostbarkeit. Sich nie mehr bietendes Angebot.
    Ich kenne Deinen Brief an Dein verlorenes Kind. Als ich es las, erfasste ich Dein Talent, Gefühle auszudrücken/ mitzuteilen. Ja, ich kann verstehen, das Du haderst, aber dieses Leben will gelebt sein und nur Du bist die Auserwählte.
    Was immer geschieht, Dein Schicksal bestimmt Du nicht. Es geschieht.
    Hilde

  2. Puh, ich hab den Text jetzt ein paar Mal gelesen und gegrübelt. Ich kann gut verstehen, dass du die Samen nicht einsetzen möchtesT. Ich weiß grad nicht was man da raten oder vorschlagen kann. Diese Entscheidung kannst nur du fällen. Aber im Moment glaub ich, ist nicht der richtige Zeitpunkt. Klar ist es auch weiter eine finanzielle Belastung mehr, aber ich denke die Zeit der Trauer und eure Selbstfindung ins Leben 2.0 stehen erstmal im Vordergrund. Lasse dir also noch etwas Zeit mit der Entscheidung, was mit diesem “ Schatz“ passiert.
    Fühl dich gedrückt Heldenmama 🌻🎈

  3. Liebe Ines,
    Zweifel nicht an deiner Entscheidung Simon Flügel geschenkt zu haben. Du weißt im tiefsten Inneren, dass es das richtige für euch alle war. Es schmerzt und es wird noch eine ganze Weile schmerzen, aber er wird erträglicher werden. Irgendwann kommt der Tag an dem du auch über den restlichen lebendigen Teil von Simon entscheiden kannst. Und egal wie du dich entscheidest, es wird richtig sein.
    Fühlt euch ganz doll gedrückt unbekannter Weise. Michaela

  4. Ich muss sagen, ich bin doch sehr irritiert über die vielen Kommentare besonders auf FB, in denen es um die Entscheidung für oder gegen den Versuch ein 3. Kind zu bekommen geht… Ich lese aus Deinen Zeilen – anders als viele andere scheinbar – klar heraus, dass der Einsatz dieser Zellen um ein weiteres Kind zu bekommen, momentan und auch später überhaupt nicht zur Debatte steht, sondern es Dir lediglich um die Frage und die sehr emotionale Entscheidung geht, wie/wann diese Zellen vernichtet werden. Gibt es nicht eine Möglichkeit, sich dieses „Material“ irgendwie aushändigen zu lassen und es bei Simon unter dem Baum zu begraben? Wie auch immer Du Dich entscheidest, lass Dir Zeit damit! Weiterhin alles Gute für Dich!

    1. Ich sehe es genauso, ich kann da auch nirgendwo einen eventuellen Kinderwunsch herauslesen. Ich finde esehrlich gesagt schon fast etwas übergriffig, das zu behaupten und – wenn auch mit gutem Willen – dazu zu drängen.
      Ich glaub, das wäre nicht gut jetzt…

    2. Ich glaube, dass mit der Herausgabe kann schon schwierig werden. Es gab da mal einen ähnlichen Fall (allerdings mit Kinderwunsch) , da hat die Klinik die Herausgabe abgelehnt und das wurde auch gerichtlich bestätigt. Aber vielleicht würde es über den Bestatter ausgehändigt werden können?

  5. Du hast mal in einen Post geschrieben , das es für Simon eine Erleichterung sein wird , wenn er über Kunibert siegt. Genau das , hast du ihn mit deinen Unterschriften ermöglicht, keine Schmerzen , keine Behandlungen und kein Krankenhaus mehr . Auch wenn es schwer ist , bitte zweifel nicht an deiner Entscheidung . Was weiter mit den lebendigen Zellen von Simon passiert… auch wenn du sie nicht mehr brauchst, sind sie doch ein Teil von ihm und es ist deine Entscheidung was du damit machst . Lass dir Zeit mit der Entscheidung , ob die Zellen vernichtet werden sollen oder nicht.

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