Und am Ende wird alles gut

Das ist ein Sprichwort oder eine Floskel, kennt Ihr, oder? An jedem Postkartenstand gibt es eine Karte mit diesem Spruch drauf. Oft steht er auch in Zeitschriften oder in super cleveren Ratgebern.

In den letzten 6,5 Jahren fühlte ich mich immer veräppelt, wenn ich diesen Spruch gelesen habe. Was will der mir sagen? Was soll das? Wer macht sich da über mich lustig? Was zur Hölle soll denn bei uns am Ende gut werden? Gar nix wird gut. Die Illusion, dass alles gut gehen wird, nahm uns der Arzt im Juni 2012. Der Onkologe, der uns gesagt hat, dass Simon an einer unheilbaren Krebserkrankung leidet. Der Arzt, der erst auf meinen dicken Babybauch starrte, dann auf Simons Akte, bevor er die magischen Worte der möglichen Lebenserwartung in den Mund nahm.

Nach diesem Gespräch gingen wir in den Klinikkiosk, um Schokolade zu kaufen, viel Schokolade. Hauptsächlich für mich und den kleinen Batman in meinem Bauch. Da sah ich sie das erste Mal. Diese Karte, mit einem Sandstrand, auf dem Fußabdrücke zu sehen waren. Eine Karte, auf der die Sonne gerade aufging, oder unter. Ich weiß nicht mehr genau. In einer schnörkligen Schrift stand da: „Am Ende wird alles gut und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende“. Welch netter Gedanke, dachte ich mir noch.

Trotzdem hatte ich oft das Gefühl, dass mich diese Karte einfach nur auslacht. Dieser Spruch ist so bescheuert und trifft absolut nicht auf uns zu. Das kennt Ihr sicher auch, oder? Es bedarf keiner Krebserkrankung, um sich so zu fühlen.

Ich mag diesen Spruch immer noch nicht, weil er sich so leichtfüßig, fast schon schwebend anhört. Er wirkt so, als wäre das alles ganz easy. Es wirkt so, als wäre der Weg, bis alles gut sein wird, ein einfacher. Andere mögen es als Motivation verstehen, vielleicht ist es das auch. Ich mag ihn trotzdem nicht, weil er mir zu leicht, zu luftig und zu wolkig erscheint.

Aber im Grunde muss ich zugeben, dass dennoch ein Funken Wahrheit in ihm steckt. An anderer Stelle hatte ich einmal geschrieben, dass ich glaube, dass einem das Schicksal nur so viel gibt, wie man in der Lage ist zu ertragen. Ich muss zugeben, dass ich selbst manchmal an meinen Glauben gezweifelt habe…aber das ist eine andere Geschichte.

Ich habe auch geschrieben, dass ich glaube, dass jeder Mensch für sein Glück, für seine innere Zufriedenheit selbst verantwortlich ist. Es sind nicht die Umstände, nicht andere Personen, sondern nur man selbst.

Ich glaube, dass diese Karte mit Strandmotiv ähnliches sagen möchte. Abgesehen davon sind viele Ereignisse immer eine Frage der Ansicht und des Blickwinkels.

Unser Held siegte gegen Kunibert. Diese Aussage tätige ich bewusst, obwohl ich sonst immer lese, Patient xy hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Meiner Meinung nach gibt es keine Verlierer in dieser Hinsicht. Niemand der kämpft, der alles mögliche versucht und dabei immer seinen Kopf oben lässt, kann verlieren. Simon siegte nicht nur über Kunibert. Er siegte auch über seine Schmerzen, die vielen Klinikaufenthalte, noch mehr Medikamente und die wahnsinnig vielen schlechten Nachrichten. Nie wieder muss er sich mit Dingen wie diesen befassen. Und damit hat er gewonnen. Und damit ist es für ihn am Ende gut geworden. Ein „Besser“ hätte es so nicht gegeben.

Und am Ende wird alles gut….

Wir sind übrig geblieben. Ich hatte immer Angst davor. Unsere Kinder hatten immer Angst davor. Der kleine Batman kennt ein Leben ohne diese Angst gar nicht. Besonders im letzten Jahr haben sie den Zerfall des Helden miterlebt. Sie erlebten das körperliche Abmagern, die schreienden Alpträume in der Nacht. Sie sahen, dass Simon am Ende zu Hause kaum bis gar nicht mehr laufen konnten, sie merkten, dass wir unseren Helden nicht mehr allein lassen konnten, weil er eine Eigengefährdung darstellte. Simon hatte Wahnvorstellungen, ständig Schmerzen und wusste zum Schluß nicht mehr, dass er Kinder hatte. Unsere Minihelden erlebten einen großen Teil davon mit. Sie arrangierten sich damit. Mehr als es mir lieb gewesen ist. Die Frage, ob Simon bald sterben müsse, wurde nahezu täglich gestellt.

Unser Held wacht nun von oben über uns. Der Verlust ist grausam und ich, nein wir, kämpfen noch immer damit, dies als unsere neue Realität zu akzeptieren. Wir laufen durch einen Strudel von Traurigkeit. Dieser Strudel aber ist gespickt mit Hoffnung und den Glauben daran, dass das alles schon irgendwie klappen wird.

Wir versuchen aus dem, was uns nun gegeben ist, etwas Produktives anzustellen. Etwas, das man Leben nennt. Etwas, das uns hilft, das Drumherum aufrecht zu erhalten. Etwas, das uns Atmen lässt.

Unsere Kinder müssen keine Angst mehr vor dem Verlust von Simon haben. Sie müssen nun lernen, damit umzugehen. Sie hören keine Schreie nachts und fragen sich, ob alles in Ordnung ist. Sie müssen nicht in der permanenten Angst leben, dass Simon morgen wieder in die Klinik muss. Sie erleben, dass wir das Haus verlassen können, ohne uns dabei Gedanken zu machen, was mit unserem Helden passiert. Wir können Ausflüge machen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, Simon mit Schmerzen zurückzulassen.

Ich würde alles dafür geben meinen Mann zurückzubekommen. Ich habe alles versucht, um seinen Tod zu verhindern. Noch immer glaube ich, dass ich hätte mehr tun können. Ich vermisse. Unsere Kinder vermissen. Sehr. Ich habe noch nie in meinem Leben ein Gefühl fühlen müssen, das dermaßen ausgeprägt ist. Noch nie in meinem Leben war ich so einsam.

Aber….

Unsere Kinder und auch ich haben nun die Möglichkeit, in ein normaleres Leben zu rutschen. Wir schlittern auf einer Eisbahn und hoffen, rechtzeitig bremsen zu können, um den richtigen Abzweig nicht zu verpassen. Manchmal klappt es, andere Male nicht. Aber wir haben diese Option. Und ich weiß, dass es sich grausam anhört, denn ich liebe diesen Mann nach wie vor. Aber durch Simons Sieg über Kunibert sind Möglichkeiten zu uns gekommen, die sonst nicht da gewesen wären. Die Möglichkeit, irgendwann angstfrei leben zu können zum Beispiel. Die Möglichkeit, die letzten Jahre (besonders das letzte) verarbeiten zu können.

Wir haben die Möglichkeit, wieder darauf zu hoffen, dass am Ende vielleicht doch alles gut wird. Wann das sein wird, kann ich nicht sagen, ich wünschte ich könnte. Wie es sein wird, weiß ich ebenso wenig. Aber ich bin mir sicher, dass da noch der eine oder andere Stein auf unserem Weg liegen wird. Und noch sicherer bin ich mir, dass wir es nach und nach schaffen, diese aus dem Weg zu räumen.

Wir lieben unseren Helden. Sehr. Immer. Aber seine großen Flügel, die er am 6.7.2018 aufgespannt hat, ermöglichen uns, zukunftsorientiert zu denken. Zumindest manchmal.

Vielleicht werde ich mir diese Karte irgendwann einmal doch kaufen und nicht nur genervt an ihr vorbei gehen.

4 Gedanken zu „Und am Ende wird alles gut

  1. Ich bin schon sehr gespannt auf Dein Buch und kann mir gut vorstellen, dass es eine Fortsetzung davon geben wird. Irgendwann. Diese Geschichte spricht jedenfalls dafür. Viel Glück auf Euerm Weg und toi, toi, toi für die Lesung!

  2. Ja, es ist so. Wenn ein furchtbarer Kampf mit Schmerzen, Diagnosen, viel Organisation und blöden Kommentaren endlich zuende geht, dann ist es gut und sicher auch ein Sieg. Alles Gute!

  3. Genau so ist es. Und verstehen können es so richtig nur die, die es auch erlebt haben. Uns Betroffenen alles Gute auf diesem Weg!
    Liebe Grüße

  4. Genauso ist es. Und richtig verstehen können es nur die, die es auch erlebt haben. Uns Betroffenen alles Gute auf diesem Weg!
    Liebe Grüße

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